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Die Inflation, die Aktien und das Gold ...

17.12.2021  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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6. Inflation treibt Kapitalmarktzinsen in die Höhe. In der Vergangenheit, in den Zeiten also, in denen sich die Zinsbildung in den Kreditmärkten noch relativ ungestört vollziehen konnte, stiegen die Zinsen üblicherweise an, wenn die Inflation zunahm. Die Investoren waren nämlich nur dann bereit, Anleihen zu halten, wenn sie für den Kaufkraftverlust entschädigt wurden und zudem eine reale Rendite erzielen konnten. Die Inflationspolitik der Zentralbank wurde folglich regelmäßig mit steigenden Kapitalmarktzinsen "bestraft". Die steigenden Zinsen wiederum machten die Anlage in Anleihen attraktiv(er) gegenüber Investitionen in zum Beispiel Aktien.

Das wiederum senkte die Nachfrage nach Aktien und verbilligte deren Kurse. Anders erklärt: Die Inflation führte zu einem Anstieg der Diskontierungszinsen, mit denen man die künftig geschätzten Gewinne abzinste. Das führte zu geringeren Barwerten und damit zu entsprechend geringeren Aktienkursen. Hinzu kam dabei, dass die Inflation auch die erwarteten künftigen Unternehmensgewinne schmälerte, und das trug zusätzlich dazu bei, die Aktienkurse unter Druck zu setzen beziehungsweise führte zu geringen Aktienkurssteigerungen in Zeiten der Inflation.


Was heute anders ist

Ein ganz wichtiger Unterschied zwischen der Episode 1964 bis 1984 und der heutigen Situation ist, dass die Kapitalmarktzinsen sich nicht mehr frei bilden können, sondern von den Zentralbanken mehr oder weniger diktiert werden. Die Zentralbanken greifen seit Jahren extrem stark in die Zinsbildung der Anleihemärkte ein, indem sie gezielt Anleihen aufkaufen.

Aufgrund ihrer unbegrenzten Kaufkraft sind sie in der Lage, die Anleihekurse und die Anleiherenditen auf den politisch gewünschten Niveaus festzuzurren. Das wiederum hat zur Folge, dass die Kapitalmarktzinsen den Anstieg der Inflation nicht oder nicht in ausreichendem Maße kompensieren.

Diese wichtige Einsicht soll Abb. 2 illustrieren. Sie zeigt die langfristige Rendite für Euro-Staatsanleihen in Prozent von 1970 bis November 2021, und zwar in nominaler wie auch in realer, also inflationsbereinigter, Rechnung. Am äußeren Rand ist deutlich zu erkennen, dass die nominale Rendite seit Anfang der 1980er Jahre stark rückläufig ist, die reale Rendite seit etwa Mitte der 1990er Jahre.

Besonders auffällig ist: Mittlerweile ist die nominale Rendite nahe an der Nulllinie angekommen, die reale Rendite ist sogar negativ geworden. Der starke Anstieg der Konsumgüterpreisinflation im Euroraum hat die reale Rendite auf ein Rekordtief fallen lassen: minus 4,6 Prozent.

Das heißt: Das Halten von Anleihen ist ein Verlustgeschäft. Das wiederum kommt tendenziell den Aktienkursen zugute: So mancher Investor wird es vorziehen, auf Aktien und damit auf unsichere positive Erträge zu setzen anstatt sich auf sichere Verluste bei Anleihen einzulassen. Zudem profitiert die Aktienbewertung noch aus zwei weiteren Gründen von einem Negativzinsumfeld.

Erstens: Wenn sich Unternehmen zu negativen Realzinsen refinanzieren könnten, dann trägt das dazu bei, den realen Unternehmenswert zu steigern. Zweitens: Viele Investoren werden ihren Kalkulationen einen sehr niedrigen Zins zugrundelegen, und entsprechend hoch fallen die Barwerte aus, die hohe Aktienkurse und hohe Bewertungsniveaus rechtfertigen.

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Quelle: Refinitiv; Berechnungen Degussa. Real = Nominalrendite minus Inflation der Konsumgüterpreise.


Dabei sollten nicht übersehen werden: Die negativen Effekte der Inflation, wie sie bereits weiter oben angeführt wurden, lösen sich nicht in Luft auf, sie bleiben weiter bestehen und wirken! Das heißt: In einem inflationären Umfeld ist die Gefahr für viele Unternehmen groß, dass ihre Geschäftsmodelle Schaden nehmen; dass Firmen Fehlinvestitionen begehen; dass ihnen Substanz durch Besteuerung von Scheingewinnen entzogen wird; dass ihr Kapitalbedarf steigt, die Altaktionäre verwässert werden, die Unternehmensbilanz schuldenlastig(er) wird; dass die Politik die Freiheitsgrade der Unternehmen und dadurch ihre Gewinnmöglichkeiten beschränkt.

Was lässt sich für den zu vermutenden "Netto-Effekt" der Inflation sagen? Die Inflation kann Wachstum und Beschäftigung zwar manchmal kurzfristig beleben, dann aber nur zum Preis nachfolgender Krisen, und letztlich zeigt es sich dann, dass die Inflation schädlich ist für die Volkswirtschaften, dass sie Wachstums- und Beschäftigungszugewinne nicht befördert, sondern schmälert. In einer Phase negativer Zinsen wird allerdings der negative Effekt der Inflation auf die Unternehmensaktien tendenziell geringer ausfallen als noch in der Zeit der "Großen Inflation" in den 1970er und 1980er Jahren. Das mag erklären, warum viele Aktienmärkte in den letzten Jahren fulminant gestiegen sind.

Allerdings drängt sich noch eine weitere, eine zusätzliche Erklärung auf: Die Ausweitung der Geldmenge durch die Fed hat die Unternehmensgewinne gewaltig in die Höhe befördert (siehe Abb. 3). Von Ende 2019 bis zum November 2021 wurde die US-Geldmenge um etwa 40 Prozent oder gut 5 Billionen US-Dollar ausgeweitet. Seit dem zweiten Quartal 2020 sind die Gewinne der US-Unternehmen um etwa 1,2 Billionen US-Dollar angestiegen. Ein erheblicher Teil der Geldmengenvermehrung ist also als Gewinn im Unternehmenssektor verblieben - und dass solch ein "Geldmengeneinschuss" in die Firmenbilanzen den nominalen Aktienmarktwert erhöht, ist nicht überraschend.


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