Weltwirtschaft 2022: Mehr Inflation. Weniger Wachstum. Auf Gold und Silber setzen
21.01.2022 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Da der Staat mittlerweile als "Problemlöser" für alle Bedrängnisse angesehen wird, konnte er im Zuge der Themen "Klimawandel" und "Coronavirus" vielerorten die Freiheitsrechte der Bürger und Unternehmer in erheblichem Umfang ausschalten und im Gegenzug seinen Einfluss im Wirtschafts- und Gesellschaftsleben ausweiten - durch Kontrollen, Überwachung, Zahlung von Transfers etc. Aus ökonomischer Sicht steht außer Frage, dass ein wachsender Anteil des Staates im Wirtschafts- und Gesellschaftsleben die produktive Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaften herabsetzt - im Vergleich zu einem System der (relativ) freien Märkte.Wie weit diese Entwicklung gehen wird, wie stark die "Bremsspuren" für Wachstum und Beschäftigung in der westlichen Welt ausfallen werden, ob es Bürgern und Unternehmern gelingen wird, den Staatseinfluss wieder kräftig zurückzudrängen, oder ob die jüngsten Entwicklungen der Startschuss für den Übergang in eine noch stärker staatlich beeinflusste, gelenkte Wirtschaft und Gesellschaft markieren: In dieser Entscheidung liegt gewissermaßen eine Art Schicksalsfrage sowohl für den materiellen Wohlstand als auch für die friedvolle Kooperation der Menschen - nicht nur in der westlichen Welt, sondern weltweit; eine Schicksalsfrage, deren Bedeutung über den kurzfristigen Konjunkturverlauf weit hinausreicht.
Inflation: Steigt im Trendverlauf
Dass sich in der westlichen Welt ein "Inflationsproblem" entwickelt, ist nicht mehr zu übersehen. Über die Ursachen der Inflation ist schon viel Tinte vergossen worden, und an dieser Stelle soll die Diskussion nicht erneut aufgenommen werden. Mit Blick auf die aktuellen Geschehnisse ist es aus unserer Sicht jedoch gerechtfertigt, den Inflationsprozess wie folgt zu erklären:
(1) Vor allem die Folgen der politisch diktierten Lockdown-Krisen sowie auch der politisch angetriebenen Energiewende/ grüne Politik haben für Knappheit und Preissteigerungen auf den Gütermärkten gesorgt.
(2) Dieser "Preisschock" trifft jetzt auf einen gewaltigen "Geldmengenüberhang", für den die Zentralbanken gesorgt haben: Um die Einkommensausfälle der Lockdown-Politik aufzufangen, haben die Zentralbanken Schuldpapiere der Staaten in großem Stil aufgekauft und dadurch die umlaufende Geldmenge gewaltig erhöht, die sich nun in steigenden Güterpreisen - steigenden Konsumgüter- und/oder Vermögenspreisen - entlädt.
Quelle: Refinitiv; Berechnungen Degussa. Die "Lücke" zwischen der Relation von Geldmenge zu nominalen BIP und der Trendlinie stellt eine mögliche Maßgröße für den Geldmengenüberhang" dar: Die Lücke (in Prozent ausgedrückt) zeigt das künftige Preissteigerungspotential an. Trendentwicklung des nominalen BIP jeweils geschätzt für die Zeit Q1 2007 bis Q4 2019 danach extrapoliert.
Warum die Inflation so problematisch ist
Inflation - also das Ansteigen der Güterpreise auf breiter Front - hat eine Reihe von negativen Wirkungen für die Volkswirtschaft. Sie verteuert die Lebenshaltung für die breite Bevölkerung, führt also zu einer Verarmung. Zwar werden die Löhne in der Regel früher oder später an die erhöhte Inflation angepasst, aber sie hinken der Inflation zeitlich hinterher, so dass Inflation für die meisten Menschen eine reale Einkommensminderung darstellt.
Die Inflation entwertet zudem zinstragende Wertschriften und damit die Altersvorsorge vieler Menschen. Nicht nur Altersarmut ist die Folge, sie macht aus Bürgern Almosenempfänger des Staates. Inflation sorgt auch für soziale und politische Spannungen: Neid und Missgunst greifen um sich, Menschen empfinden die Einkommens- und Vermögensverteilung als zusehends ungerecht, das friedvolle und kooperative Miteinander leidet.
Die Nöte, für die die Inflation sorgt, ruft regelmäßig marktfeindliche Politiken auf den Plan - Stichworte sind hier Preiskontrollen, Überwachung, Bestrafung -, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaften herabsetzen. Zudem erschwert Inflation die mit Geld ausgeführte Wirtschaftsrechnung. Unternehmen begehen in Inflationszeiten verstärkt Fehlinvestitionen, und das wiederum schmälert Wachstum und Beschäftigung.
Vor allem aber entsteht bei einer Inflationspolitik, ist sie erst einmal in Gang gekommen, der Anreiz, für immer mehr Inflation zu sorgen. Denn solange die Inflation überraschend kommt, treibt sie in der Regel die Wirtschaft ab; Inflation wirkt durch die Täuschung, für die sie sorgt. Wird die Inflation aber von den Marktakteuren richtig erwartet, kommt sie also nicht mehr überraschend daher, verliert sie ihre konjunkturtreibende Wirkung. Um dann der drohenden Rezession (also Folge der geplatzten "Inflationsillusion") entkommen zu können, muss die Zentralbanken erneut zu Überraschungsinflation greifen. Wohin dieser Prozess führt, wenn er nicht gestoppt wird, ist absehbar: zu Hoch- oder gar Hyperinflation.
In den USA dürfte der Geldmengenüberhang derzeit schätzungsweise bei 20 Prozent liegen: In dieser Prozentzahl kommt das Preissteigerungspotential zum Ausdruck, dass sich noch in steigenden Konsumgüter- und/oder Vermögenspreisen niederschlagen kann. Mit anderen Worten: Das Inflationspotential ist beträchtlich, zumal die US-Geldmenge nach wie vor mit sehr hohen Raten wächst. Im Euroraum sieht es nicht viel anders aus.
Der Geldmengenüberhang beträgt ebenfalls etwa 20 Prozent, und folglich ist auch hier das Inflationspotential beträchtlich. So gesehen gibt es gute Gründe, in den kommenden Jahren eine im Vergleich mit den letzten Jahren sehr hohen Inflation zu rechnen - denn der Inflationsdruck, der sich bereits "in der Pipeline befindet", lässt sich nicht mehr entschärfen.
Die Inflation kommt in Wellen
Quelle: Refinitiv; Berechnungen Degussa.