Schlagworte im Ukrainekrieg: Harte Ansagen + Realmathematik = Schlechte Optionen
18.03.2022 | Matt Piepenburg
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Boris Johnson bläst sich aufAllen taffen Ansagen Boris Johnsons und anderer westlicher Führer zum Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT zum Trotz müssen gewisse finanzielle Realitäten - und nicht nur politisches Reden - in Betracht gezogen werden. Sogar US-Präsident Obama warnte 2015 konkret vor solchen Schritten, da diese den Status der US-Reservewährung und den Allgemeinzustand der Weltwirtschaft schwächen würden/ könnten.
Das heißt also: Der Rausschmiss Russlands aus dem USD-denominierten SWIFT-System würde Putin einen weiteren Grund geben, andere Märkte und andere Handelswährungen zu finden (man denke an CNY oder gar Gold, das Russland und China in aller Stille gehortet haben). Ein solcher Schritt würde den US-Dollar destabilisieren und somit auch alles andere - von den Inflationsquoten bis hin zu den Anleihemärkten. Ich mein’ ja nur…
Condoleezza Rice bläst sich auf
Ich erinnere mich noch, wie die ehemalige US-Außenministerin (und Russlandexpertin?) Condoleezza Rice 2014 im deutschen Fernsehen meinte, "den Russen geht das Geld früher aus als den Europäern die Energie". Als in den USA ausgebildeter Ami, der sein halbes Leben in Europa verbracht hat, bescheren solche Aussagen Einblicke aber auch zynische Momente. Denn Amerikaner wie Frau Rice sind häufig der Meinung, die Europäer würden so denken und handeln wie die US-Politik es gerne hätte. Rices ermutigendes Draufgängertum steckt natürlich voll vom großen amerikanischen Stolz (Arroganz), den ich nur allzu gut kenne. Klar klingt sie taff und smart, oder nich?
Doch leider ist knapp ein Jahrzehnt seit dieser gewagten Aussage vergangen und Frau Rice sollte vielleicht doch über eine Auffrischung ihrer russischen Rechenkünste und europäischen Zeitgeist-Einschätzungen nachdenken. So stehen Russlands Devisenreserven (sprich "Cash") zum Beispiel heute auf Allzeithochs.
Nicht nur das. Während der Westen seit Jahren beim Gelddrucken vollkommen austickt, nah Putin davon Notiz. Als ausgewiesener Schachspieler begann er Gold zu kaufen. Viel Gold… Endergebnis? Rice lag bei ihren "Geld-geht-aus"-Warnungen falsch. Russlands Devisenreserven sind viel solider als ihre Worte:
Doch was ist mit Rices angeblicher Expertise für europäische Energiebedürftnisse? Nun ja, auch da lag sie daneben…
Seit 2018 begannen beispielsweise die Niederlande, ihre Erdgasproduktion in Groningen zu reduzieren und nicht auszubauen. Vielleicht sollte Rice auch ihr Deutsch aufbessern oder zumindest die jüngsten Übersetzungen von Reuters lesen, die sie (zusammen mit Robert Habeck) daran erinnern werden, dass Deutschland (das ökonomische Zentrum der EU) 50% seiner Kohle, 55% seines Gases und 35% seines Öl von… nun ja…RUSSLAND bezieht.
Aus diesem Grund hat sich Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz auch nicht so aufgeblasen wie Boris Johnson und andere (zumindest nicht bis zum Redaktionsschluss dieses Artikels) und deshalb wird er immer noch Erdgas von der russischen Gazprom kaufen, das durch ukrainische Pipelines fließt. Zudem bleiben Deutschland, dessen Wirtschaft jüngst wieder Rezessionsstände erreichte, während der Erzeugerpreisindex des Landes mit einer Quote von 25% ein 40-Jahre-Hoch markierte, so gut wie gar keine realistischen Sanktionen/ Optionen (oder taffen Ansagen) für die nächste Zeit.
Energie-Realpolitik
Können die USA, die jetzt am Schulden-Peak stehen, sich wirklich ein Finanz-Angsthasenspiel mit Russland leisten? In dieser Hinsicht könnte Putin am längeren Hebel sitzen - mehr als die jetzt vollständig politisierten Leitmeiden uns vielleicht aufgetischt hätten.
Sollte sich Biden zum Beispiel für weitere Sanktionen gegen den weltgrößten Energieexporteur (also Russland) entscheiden, dann sollte er sich vielleicht die Frage stellen (oder zumindest die, die für ihn die Entscheidungen treffen), ob sich die USA derartige Finanzkriegsführung sowie Extremkursentwicklungen an den Energiemärkten und eben auch Inflation leisten können.
Natürlich versteht Putin, in welcher brenzligen Schuldenlage die USA jetzt stecken. Wie ich an anderer Stelle schon erwähnt habe, ist Putin wirklich sehr vieles, doch entgegen der weltweit verbreiteten Meinung ist er eben nicht dumm. Wie ein Schachspieler sieht er das Spiel strategisch und ist nicht nur auf die einzelnen, kurzfristigen Bewegungen fixiert, doch gerade dort, so scheint es, liegt die Komfortzone vieler westlicher Journalisten (und politischer Entscheidungsträger).
Zum Beispiel weiß er ganz genau, was der Präsident des Council on Foreign Relations vor kurzem eingestanden hatte - nämlich: Sanktionen gegen Russland übersehen die russischen Devisenbestände, die von steigenden Ölpreisen profitieren.
Chinas Offene Arme?
Die Leitmedien lieben es natürlich, Mut und Tugend vorzutäuschen und Klickköder zu streuen, auch wenn Mathematik, Fakten und sogar ein grundlegendes Geschichtsverständnis darunter zu leiden haben. Der hochverehrte Economist zeigt beispielsweise einen eingeschlossenen Putin, der sich wohl selbst gelackmeiert hat:
Bei allen Respekt, selbst gegenüber dem Economist: Bitte überdenken Sie!
Westliche Sanktionen gegen russische Energieträger werden Putins Ölexporte ganz einfach in die Arme und die Währung der Chinesen treiben. In großen Bereichen des Energiemarkts, wo zuvor in Petro-Dollar abgerechnet wurde, würde der CNY (d.h. der Yuan) den USD ersetzen; und das hätte sofort den Effekt eines selbst zugefügten Brustschusses gegen den US-Dollar als den einer Bedrohung für Russland.
Insgesamt betrachtet klammern alle Drohgebärden - von Boris bis Biden - härtere Realitäten aus: den schwankenden Reservestatus des USD, die tatsächliche Ölmarktsituation (einschließlich Inflation), sino-russische Schachkünste und auch die Sachzwänge, die sich aus rekordbrechender US-Verschuldung ergeben. All diese Faktoren wirken wie Kanonenkugeln, die den politischen Handlungsoptionen des Westens an die Füße gekettet sind, so dass dem Westen kaum mehr bleibt als taffe Worte, wenn er finanziell nicht untergehen will.
Sehen Sie jetzt, wie Schulden, Mathematik und Realität effektive Politik und Handlungsoptionen in Kriegszeiten einschränken? Angenommen, die heutigen Machthaber sind zumindest weise genug, um den Wahnsinn eines Atomkriegs zu erkennen, so werden sich die militärischen Konflikte in der Ukraine und Europa wahrscheinlich zu einem Finanzkrieg abschwächen, was aber auch bedeutet, dass das ohnehin schwache globale Finanz- und Währungssystem weiter geschwächt wird.
Haben Sie Gold?
© Matt Piepenburg
Kommerzdirektor bei MAM
Dieser Artikel wurde am 02. März 2022 auf www.goldswitzerland.com veröffentlicht.