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Trotz Zinssteigerungen: Die "finanzielle Repression" geht weiter

29.04.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Die Realzinsen in den USA und im Euroraum sind negativ, und es ist zu befürchten, dass sie noch viele Jahre unter der Nulllinie verharren. Will man dieser "finanziellen Repression" entkommen, ist man gut beraten, (vor allem auch) physisches Gold und Silber zu halten.


Bewegung im Zinsmarkt

Fast schienen sich die Anleger und Investoren daran gewöhnt zu haben: Der Zins ist null, liegt nach Abzug der laufenden Inflation sogar tief im Negativbereich. Der Zorn der Sparer auf die Geldpolitiker währte aber nicht allzu lange, wurde gewissermaßen durch eine quasi unausgesprochene Zustimmung zur "Anti-Zins-Politik" übertrumpft: Die "zinslose" Volkswirtschaft schien doch insgesamt recht angenehm zu sein. Sie beförderte die Konjunkturerholung, entlastete das staatliche Budget durch fallende Kreditkosten, und zeitweilig konnten sogar Private eine zehnjährige Hypothek für einen Zins von 0,7 Prozent pro Jahr aufnehmen.

Doch spätestens seit Mitte 2021 zeigte sich eine dunkle Seite der Anti-Zins-Geldpolitik: Die Güterpreisinflation ist geradezu explodiert, mittlerweile strebt die Inflation der Konsumgüterpreise in vielen Volkswirtschaften auf die 10-Prozent-Marke zu beziehungsweise hat sie hier und da bereits überstiegen.


Der (Real-)Zins und der Goldpreis

Der Goldpreis wird bekanntlich durch viele Faktoren beeinflusst. Einer dieser vielen Faktoren ist der Zins. Warum? Wer Gold hält, der erzielt keine Zinseinahmen. Je höher (niedriger) der Zins ist, desto größer (geringer) sind folglich die entgangenen Erträge, die man mit Zinspapieren hätte erzielen können. Die Nachfrage nach Gold wird also zurückgehen (steigen), wenn der Zins steigt (fällt) - und folglich wird der Goldpreis tendenziell steigen (fallen), wenn der Zins sinkt (steigt). Soweit die Theorie.

Die Praxis scheint sie jedoch recht gut zu bestätigten. Seit 1999 bis heute sind fallende Realzinsen einhergegangen mit einem steigenden Goldpreis (pro Feinunze in US-Dollar sowie in Euro gerechnet), wie die beiden nachstehenden Graphiken zeigen. Am aktuellen Rand fällt auf: Angesichts der Rekordtiefstände der Realzinsen müsste der Goldpreis eigentlich deutlich höher handeln. Was könnte der Grund sein, dass der Goldpreis augenscheinlich auf relativ niedrigen Niveaus verharrt?

Eine mögliche Erklärung ist, dass die außergewöhnlich negativen Realzinsen nur als ein vorübergehendes Phänomen angesehen werden, das bald korrigiert wird - indem der Inflationsdruck abnimmt und/oder die Zentralbanken die Nominalzinsen anheben -, und dass deshalb ein Nachfrageschub nach Gold und ein höherer Goldpreis ausgeblieben sind. Eine andere mögliche Erklärung ist, dass die Investoren und Anleger schlichtweg nicht glauben wollen, dass die Phase negativer Realzinsen nicht nur vorübergehend ist, sondern dass sie noch viele Jahre Bestand haben wird. Wir sind geneigt, die letztgenannte Erklärung für die relevante zu halten, und halten vor allem auch aus diesem Grunde das Gold für unterbewertet.

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Quelle: Refinitiv; Berechnungen Degussa. Realrendite = Nominalrendite minus Jahresanstieg der Konsumgüterpreise.
*Annahme: Inflation ist 8,5 Prozent in April ‘22, und die US-Rendite ist 2,9 Prozent.
**Annahme: Inflation ist 7,3 Prozent in April ’22 und der Zins ist 0,9 Prozent.


Das Inflationsproblem, das die Zentralbanken (mit-)verursacht haben, lässt sich mittlerweile nicht mehr übersehen oder kleinreden. Die öffentliche Missbilligung der Geldentwertung, der wachsende Zweifel in die Werthaltigkeit der offiziellen Währungen zwingen die Geldpolitiker, etwas zu tun. Die US-Zentralbank (Fed) hat bereits die Zinsen etwas angehoben. Im Mai wird eine Zinsanhebung um 50 Basispunkte erwartet, so dass der US-Leitzins dann bei 0,50 bis 0,75 Prozentpunkte liegen wird. Weitere Zinserhöhungen sind in Aussicht gestellt. Sogar in der Europäische Zentralbank (EZB) bewegt sich mittlerweile etwas: Äußerungen von Zentralbankräten lassen einen ersten Zinsschritt zu Beginn des dritten Quartals erwarten. Die Kapitalmärkte haben auf die Ankündigungen bereits reagiert.

Die zweijährige Rendite der US-Staatsanleihen ist von 0,16 Prozent im Juni 2020 auf nunmehr 2,7 Prozent gestiegen, die 10-jährige Rendite im gleichen Zeitraum von 0,6 auf 2,9 Prozent. Waren für 30-jährige US-Dollar-Hypothekarkredite Anfang 2021 noch 2,8 Prozent zu bezahlen, sind es im April 2022 bereits 5,1 Prozent.

Auch im Euroraum sind die Kapitalmarktzinsen merklich in die Höhe gestiegen. So lag die Rendite der zweijährigen Bundesrendite Anfang 2021 noch bei etwa minus 0,8 Prozent, jetzt aber hat sie die Nulllinie erreicht. Kräftig auch der Anstieg der zehnjährigen Bundesrendite: Sie ist von etwa minus 0,6 Prozent auf nunmehr knapp 0,9 Prozent gestiegen. Ist damit die "Zinswende" eingeläutet? Was spricht dafür, was spricht dagegen?

Die Beantwortung dieser Fragen ist sehr wichtig für Investoren und vor allem auch für Edelmetallanleger. Denn der Zins spielt für das volkswirtschaftliche Geschehen, insbesondere für die Preisbildung an den Vermögens- und Rohstoffmärkten eine überaus wichtige Rolle.

Die folgenden Ausführungen sollen uns den gesuchten Antworten näherbringen. Dazu soll zunächst (1) erklärt werden, was Zinssenkungen in der Volkswirtschaft bewirken, (2) und was es bedeutet, wenn die Zinsen wieder angehoben werden. Sodann wird (3) aufgezeigt, welche besonderen Folgen negative Realzinsen haben. Vor diesem Hintergrund werden (4) Szenarien vorgestellt, die für Investoren und insbesondere Edelmetallanleger relevant sein dürften.



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