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Die Machtverhältnisse auf der Welt ordnen sich neu

19.08.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
"Das Recht der Menschen muß heilig gehalten werden, der herrschenden Gewalt mag es auch noch so große Aufopferung kosten."
Immanuel Kant


"Der Friedenszustand unter Menschen, die neben einander leben, ist kein Naturstand, der vielmehr ein Zustand des Krieges ist, d. i. wenn gleich nicht immer ein Ausbruch der Feindseligkeiten, doch immerwährende Bedrohung mit denselben. Er muss also gestiftet werden", …

… so schrieb der Königsberger Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) in seiner Schrift "Zum ewigen Frieden" im Jahr 1795. Was Kant leider unterlassen hat hervorzuheben, ist die (handlungslogische) Einsicht, dass es der Staat beziehungsweise dass es die Staaten sind (verstanden als territoriale Zwangsmonopolisten der Letztentscheidungsmacht über alle Konflikte auf dem eigenen Gebiet), die den Frieden immer wieder auf das neue gefährden und nicht selten auch beenden, die die Welt politisch spalten.¹ Das gilt vor allem für große Staatseinheiten, wie sich auf der aktuellen Weltbühne wieder einmal leidvoll beobachten lässt.

Die Machtverhältnisse auf der Welt ordnen sich neu. Spätestens mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist unübersehbar geworden, dass die Nachkriegsweltordnung ad acta gelegt ist. Der Westen unter der Führung der Vereinigten Staaten von Amerika genießt nicht mehr die unangefochtene Vormachtstellung. Viele Länder orientieren sich neu, getrieben vor allem auch durch ihren eigenen wirtschaftlichen Aufstieg sowie dem (begründeten) Eindruck vom "Verfall des Westens".

Die "BRICS" (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) sind der bisher wohl prominenteste Verbund, der Amerika und seinem Hofstaat die Stirn bietet. Vor allem China lässt seine Zurückhaltung fallen. Das begünstigt die Kräfte, die Konflikte ganz bewußt und gezielt schüren. Und so erscheint der "Taiwan-Konflikt" plötzlich wieder und dramatischer denn je auf der Tagesordnung - unter aktiver Mithilfe US-amerikanischer Politiker.

Eine Neuordnung der Machtverhältnisse auf der Welt ist geschichtlich gesehen zwar nichts Außergewöhnliches. Jedoch gibt es diesmal Grund zur Besorgnis. Denn welche Ideen, welche Wirtschafts- und Gesellschaftsmodelle treten nunmehr gegeneinander an?

Die Länder des Westens haben sich in den letzten Jahrzehnten immer weiter verabschiedet vom Liberalismus - der sich auszeichnet durch Sicherung der individuellen Freiheit, Selbstbestimmung, Gleichheit vor dem Recht, dem Eigentum, begleitet von einem Staat, der den Bürgern dient, niedrigen Steuern und stabilem Geld etc. Gerade im Zuge der Coronavirus-Krise ist die Freiheit von Bürgern und Unternehmern drastisch eingeschränkt worden, der Staat hat sich vielerorts in geradezu Hegelianischer Manier selbstermächtigt. Man kann also sagen: Der Westen begibt sich seit geraumer Zeit in die Unfreiheit.

Damit bewegt sich der Westen ideologisch auf diejenigen Staaten zu, die seit je her tief kollektivistisch-sozialistisch geprägt sind, die mit individueller Freiheit und Selbstbestimmung des einzelnen herzlich wenig im Sinn haben, und die nunmehr - aufgrund ihres wirtschaftlichen Aufstiegs - offen eine führende Machtstellung bei der Gestaltung geopolitischer und geo-wirtschaftlicher Fragen einfordern.

Allen voran zu nennen ist hier China, das bevölkerungsreichste Land der Welt, sowie die vielen Länder, die sich seinen Diktionen anschließen und unterwerfen. Die Neuordnung der Machtverhältnisse auf der Welt - und das ist zugegebenermaßen die beunruhigende Botschaft - läuft folglich mit schnellen Schritten darauf hinaus, die wirtschafts- und gesellschaftsliberalen Ideale, die den Menschen im Westen Wohlstand und Frieden gebracht haben, zu beenden.

Doch nicht nur für die Freiheit des Individuums sind das schlechte Nachrichten, sondern insbesondere auch für die internationale Arbeitsteilung. Das jedoch ist ganz besonders problematisch, weil ´die internationale Arbeitsteilung das Kernstück der globalen Wohlstandsmehrung ist. Angesichts erhöhter (geo-)politischer Risiken halten sich bereits Unternehmen bei ihren weltweiten Investitionen zurück, beziehungsweise sie nutzen bei ihren Kapitalanlagen nicht mehr im bisherigen Umfang bestehende regionale Kostenvorteile; "Onshoring" geht häufig vor "Offshoring". Dadurch leiden Wachstum und Beschäftigung weltweit. Und nicht zu vergessen: Ein Abschwächen beziehungsweise Rückbau der Arbeitsteilung befördert Konflikte.

Dazu muss man wissen, dass Arbeitsteilung und der damit einhergehende Handel im wahrsten Sinne des Wortes friedensstiftend wirken. Menschen, die sich arbeitsteilig organisieren, erkennen sich als gegenseitig nützlich in der Bewältigung ihrer Lebensherausforderungen. So gesehen sind Arbeitsteilung und Freihandel ein Friedensprogramm - das jedoch leider immer wieder durch staatliche Politik (und durch die Sonderinteressengruppen, die auf sie Einfluss ausüben) untergraben oder gar beendet wird.

Eine De-Globalisierung, wie viele Beobachter des Zeitgeschehens sie bereits an die Wand malen, ist daher nicht nur eine Bedrohung für die Güterversorgung der Menschen weltweit, sie wäre auch eine Entwicklung, die wieder wachsende Konflikte zwischen den Menschen auf der Erdkugel erwarten ließe.

Ein gewaltiger Belastungsfaktor für die Weltwirtschaft ist aktuell die Verteuerung der Energie. Der Hauptgrund dafür ist die "grüne Politik" ("Net Zero CO2 Emissions by 2050"). Der politisch angestrebte Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger - allen voran Kohle und Öl - hat die Energieversorgung vielerorts ins Chaos gestürzt.

Zur Orientierung: 2020 betrug der Anteil der fossilen Energieträger an der weltweiten Primärenergieerzeugung etwa 83 Prozent. Erneuerbare Energien trugen nur 5,7%, Atomenergie 4,9% bei. In 2020 gingen die Neuinvestitionen vor allem in die erneuerbaren Energien, aber dieses Investitionsvolumen ist nicht ausreichend, um fossile Energieträger in absehbarer Zeit auch nur annähernd ersetzen zu können. Die Zurückhaltung bei Investitionen in Kohle- und Ölenergie wird die Angebotsknappheit bei fossilen Energieträgern erhöhen - während die Energienachfrage weltweit weiter zunimmt. Eine verschärfte Energieknappheit ist vorprogrammiert.

Das Ansteigen der Energiekosten treibt die Güterpreise in die Höhe - denn zur Herstellung und Bereitstellung nahezu aller Güter ist bekanntlich der Einsatz von Energie erforderlich. Das wiederum bewirkt einen "negativen Realkasseneffekt", wie es die Ökonomen bezeichnen: Steigen die Güterpreise, nimmt die Kaufkraft des Geldes ab. Bei gegebenem (nominalen) Einkommen erzwingt die Verteuerung der Güter eine Einschränkung des Konsums.

Die Menschen werden schlichtweg ärmer. Wollen die Menschen beispielsweise ihre Grundbedürfnisse - Nahrungsmittel, Kleidung und Wohnen - im bisherigen Ausmaß aufrechterhalten, müssen sie auf den Kauf von bisher konsumierten Gütern (Kinobesuch, Auto, Urlaubsreisen etc.) verzichten. Im Extremfall, bei Menschen mit geringem Einkommen, entstehen Existenznöte.

Die "grüne Politik" steht nicht allein da, sie ist vielmehr ein integraler Bestandteil des "Great Reset", der "Großen Transformation". Hinter diesen Schlagworten verbirgt sich die Idee, dass die Menschen ihre Geschicke auf dem Planeten nicht in einem System der freien Märkte gestalten, sondern dass sie vielmehr von zentraler Stelle, von den "erleuchteten" Regierungschefs der führenden Wirtschaftsländer oder den Vereinten Nationen gesteuert und gelenkt werden sollen.²

Es handelt sich dabei im Grunde um den kaum mehr verklausulierten Ausstieg aus den wenigen kapitalistischen Elementen, die in den Wirtschaftsordnungen noch verblieben sind. Ein weiteres Instrument, das dazu eingesetzt wird, ist das Siegel "ESG" (es steht für "Environment, Society, Governance"). Es soll vor allem großen Kapitalsammelstellen Vorgaben machen, wie sie ihr Geld anlegen.

Unternehmen sollen dazu angehalten werden, die ESG-Vorgaben zu erfüllen, weil sie ansonsten Finanzierungsnachteile erleiden - in Form höherer Kreditzinsen und/oder Kursabschlägen auf ihre Aktien. Mit dem ESG-Siegel lässt sich somit Wirtschafts- beziehungsweise Strukturpolitik betreiben. Beispielsweise erhalten viele Ölexplorationsfirmen mittlerweile keine Bankkredite mehr, oder wenn doch, dann nur zu sehr unvorteilhaften Konditionen. Die Folge: Die Investitionen im Downstream wie auch im Upstream nehmen ab, verringern dadurch das künftige, aus Öl gewonnene Energieangebot, erhöhen seinen Preis.


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