Hochinflation und steigende Zinsen. Jetzt wird es ernst für das Schuldgeldsystem
28.10.2022 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Die Staatsfinanzen stehen üblicherweise im Mittelpunkt der Schuldendynamik. Abb. 2 a zeigt die Schuldenquote und die Zinszahlungen pro Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Euroraum von 1996 bis 2021. Die Schuldenquote ist im betrachteten Zeitablauf (unter Schwankungen) angestiegen und erreichte knapp 96 Prozent Ende 2021. Gleichzeitig sind die Zinsaufwendungen mehr oder weniger stetig gefallen - weil die Kapitalmarktzinsen immer weiter gesunken sind. Man kann sagen: Die sinkenden Zinsen haben den Schuldenaufbau ermöglicht, ihn vielleicht sogar ermutigt. Abb. 2 b zeigt für den gleichen Zeitraum das öffentliche Defizit. Wie zu erkennen ist; war in der Zeit von 2009 bis 2013 das Primärdefizit (d. h. das Haushaltsdefizit vor Zinszahlungen) negativ: Die Zinskosten wurden in dieser Zeit folglich durch neue Kredite finanziert.
In 2020 war das Primärdefizit erneut negativ (minus 5,6 Prozent), ebenso in 2021 (minus 3,6 Prozent). Also auch jüngst wieder werden die Zinskosten auf die Staatsschulden durch die Aufnahme von neuen Darlehen finanziert. Eine Konstellation, die den Weg in die Pleite ebnet. Wie lange kann das gutgehen? Unter "normalen Marktbedingungen" hängt die Antwort auf diese Frage entscheidend von den Erwartungen der Finanzmarktinvestoren ab. Wenn sie der Auffassung sind, die Staaten werden alles daransetzen, ihre aktuell missliche Finanzlage zu verbessern, und dass sie auch dazu in der Lage sind, dann wird es vermutlich keine stark steigenden Zinsen, keine großen Probleme bei der Staatsfinanzierung geben.
Sollten hingegen die Finanzmarktinvestoren ihr Vertrauen in die Staaten verlieren, dass die Staaten weder willens noch in der Lage sind, ihre unsolide Schuldenlage in den Griff zu bekommen, ändert sich das Bild. Die Investoren sehen steigende Risiken bei den Staatsanleihen und werden nur bereit sein, staatliche Schuldpapiere zu halten, wenn sie dafür mit einem erhöhten Zins entgolten werden.
Das wiederum kann die Schuldenpyramide umstürzen lassen: Steigende Zinsen verschlechtern die Finanzlage der Staaten, Investoren fordern noch höhere Zinsen, die Finanzlage des Staates verschlechtert sich noch stärker, und so weiter. Am Ende steht (im Extremfall) die Zahlungsunfähigkeit der Staaten. Doch mittlerweile findet man längst keine "normalen Marktbedingungen" mehr vor.
Die Zentralbanken sind in den letzten Jahren bedeutende Akteure im Kapitalmarkt geworden. Sie diktieren mittlerweile nicht nur die Kurzfristzinsen, sondern sie setzen auch die Langfristzinsen, indem sie Anleihen kaufen und dadurch deren Kurse und entsprechend auch deren Renditen beeinflussen. Um diese Wirkung zu erzielen, müssen die Zentralbanken tatsächlich gar nicht als aktive Käufer im Markt auftreten.
Wenn die Investoren damit rechnen, dass die Zentralbank nicht wünscht, dass der Zins ein bestimmtes Niveau übersteigt, dann werden die Händler sich zurückhalten: Sie werden dann nicht darauf spekulieren, dass der Marktzins das von der Zentralbank gewünschte Niveau übersteigen wird - weil sie damit rechnen müssen, dass ansonsten die Zentralbank in den Markt eingreift und den Zins vor dem Ansteigen hindert.
Wohin führt die "fiskalische Dominanz"?
In diesem Fall ist eine Situation erreicht, die man als in Fachkreisen (verschämt) als "fiskalische Dominanz" bezeichnet: Das Finanzgebaren des Staates bestimmt die Handlungen der Zentralbank. Die Zentralbank gerät ins Schlepptau des Staates: Verschuldet sich der Staat übermäßig, und drohen die Zinsen in politisch unerwünschter Weise anzusteigen, muss die Zentralbank einschreiten.
Dann heißt es: Anleihen kaufen, deren Kurse in die Höhe treiben, um den politisch gewünschten Zins auf das gewünschte Niveau zu setzten und dort zu halten. Mit anderen Worten: Bei fiskalischer Dominanz muss die Zentralbank die Marktzinsen kontrollieren, zu denen sich der Staat finanzieren will beziehungsweise die er sich noch leisten kann, ohne in Zahlungsschwierigkeiten zu geraten.
Doch eine derartige "Zinskontrolle" führt dazu, dass die Zentralbank die Hoheit über die Geldmenge und damit das Preisniveau der Volkswirtschaft verliert. Das wiederum heißt, dass die Finanzmarktinvestoren das Hauptrisiko nicht in der "Pleite" des Staates erblicken werden, sondern in der Kaufkraftentwertung des Geldes. Die "fiskalische Dominanz" bedeutet im Kern, dass die Zentralbank, vor die Wahl gestellt, den Staat zahlungsunfähig werden zu lassen oder hohe Inflation zu erzeugen, sich gegen ersteres und für letzteres entscheidet.
Eine Zentralbank kann sich zwar der monetären Staatsfinanzierung entsagen. Aber ist eine solcher "Befreiungsschlag" der Zentralbankräte wahrscheinlich? Attestieren nicht gerade die Zinsanhebungen der Fed, EZB, der Bank von England und anderer Zentralbanken, dass die Geldbehörden jetzt der Inflationsreduktion den Vorzug einräumen?
Bislang waren die (zaghaften) Zinsanhebungen noch keine allzu große Bedrohung für die Staatsfinanzen. Sie werden es aber über kurz oder lang werden. Daher ist es wahrscheinlich, dass die Zinssteigerungen bald zum Stillstand kommen werden, zumal die Konjunkturen bereits viele Rezessionssignale senden.
Bald wird es heißen: Es herrscht zwar Hochinflation, aber die sich abschwächende Konjunktur werde helfen, die Hochinflation wirksam zu beenden, weitere Zinserhöhungen seien dazu nicht erforderlich. In ähnlicher Weise werden die Geldpolitiker argumentieren, sollte das Finanzsystem unter Stress geraten - wenn beispielsweise der Aktienmarkt kollabiert, Banken in Schieflage geraten oder ein Ausverkauf bedeutender Währungen einsetzt.
Wofür Anleger Gold brauchen
Die Zeichen stehen auf Geldentwertung. Zwar könnten die Leitzinserhöhungen nahelegen, die Zentralbanken wollten die Hochinflation, für die sie gesorgt haben, nun ernsthaft reduzieren. Aber ein nüchterner Blick muss zu einem anderen Schluss kommen: Die Zentralbankräte finanzieren die Staaten weiter bereitwillig; und sie werden im Zielkonfliktfall der Versorgung der Staaten mit billigem Kredit den Vorzug geben gegenüber der Beendigung der Hochinflation.