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Groteske Realitäten: Ironie als Brückenschlag

20.07.2009  |  Prof. Dr. Hans J. Bocker
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Frohe Botschaften

Das Finanz-GPS-System erfreut mit der Dauermeldung: «Die Aufschwungstraße beginnt gleich an der nächsten Ecke. Dort wird gerade die Goldtankstelle des IWF eröffnet. Sie speist vorne die Massen mit Negativrenditen ab, während hinten dollarstarke Chinesen, devisenreiche Araber, kluge Russen und smarte Japaner klammheimlich Gold auftanken. Diese Irregeleiteten wollen einfach nicht begreifen, dass Gold und Silber lachhafte Überbleibsel längst versunkener Zeiten ohne jeden wirtschaftlichen Wert sind und bleiben. Sie gehören in Behindertenwerkstätten zwecks Herstellung von Weihnachtsornamenten für Wohltätigkeitsbasare».

Natürlich leiht sich der IWF hunderte von Milliarden $ von den Zentralbanken größerer Staaten, wie beispielsweise von den Japanern, welche wirtschaftlich gerade beginnen zu hyperventilieren. Dort scheint der Yen seine einstige Funktion und Status als sicherer Hafen zu verlieren. Die Wirtschaftsdaten aus dem Reich der aufgehenden Sonne werden von Woche zu Woche besorgniserregender. Nicht nur die Autoindustrie führte eine Vollbremsung durch. Gut für den Dollar, schlecht für den Yen! Und in Spanien strebt die offizielle Arbeitslosenrate auf 16% zu. In Wirklichkeit sind wir schon bald bei etwa 25% angekommen, Tendenz: Weiter steigend.

Gut für die Deutschen, die dürfen ihre spanischen EU-Mitbürger dann quersubventionieren. Das sorgt für echt brüderliche EU-Gefühle nach dem Motto der treuen Musketiere: Einer für alle, alle für einen! Vielleicht gilt dies sogar schon bald für die Ölscheichs, die als Bittsteller auftreten könnten. Immerhin mußte Dubai Anfang März 2009 mit einer 10 Milliarden $ schweren Hilfsaktion durch die Zentralbank der Vereinigten Arabischen Emirate gestützt werden und Dubais Herrscher muß 2009 Schulden in Höhe von 14 Milliarden $ und bis 2012 weitere 54 Milliarden begleichen. Das sind 275.000 $ pro Kopf und Dubai hat so gut wie kein Öl. Wie das alles genau funktionieren soll, ist unklar, doch heimlich kauft der Herrscher Gold.

Weitere Rettungen im Ölraum zeichnen sich ab. Und die Staatsfonds des Bruderstaates Abu Dhabi haben 2008 immerhin rund 190 Milliarden $ an den Weltmärkten verzockt. Das war über die Hälfte des Gesamtvermögens. Sogar die Scheichs gehen jetzt notgedrungen auf Diät. Aber was sind schon ein paar hundert Milliärdchen im großen Weltfinanzpoker?

Zwar ist der Dow Jones, der für die Finanzwelt soviel Symbolwert hat wie das Kreuz für den Papst, seit der ersten Auflage dieses Buches im November 2008 zwischenzeitlich von ungefähr 8.500 auf 6.800 ein wenig abgeglitten. Der von unseren genialen Börsenpropheten, wie beispielsweise Abby Cohen von New York, immer wieder vorausgesagte Anstieg auf 36.000 oder gar 100.000 Zähler wird wohl erst mit einiger Verspätung eintreffen. Dafür stieg aber der schwindsüchtige und todkranke Dollar im Außenwert, trotz verheerender Konjunkturdaten, steil an. Wunder über Wunder!

Und millionenschwere Boni werden weiter munter an Bankmanager ausbezahlt, die Milliardenverluste verursachten. Massives Missmanagement wird großzügig belohnt. Das Papiergeld-System ist eben etwas ungewöhnlich. Ganz gewöhnlicher Natur ist dagegen der Anstieg der Arbeitslosenraten, besonders in den USA. Allein im Monat Februar 2009 meldeten dort rund 700.000 mehr Menschen offiziell ihren Arbeitsplatzverlust. Die ungeschönten Zahlen dürften real weit höher liegen. Auch müssten die künstlich neu geschaffenen Papier- und Digitalgeldmassen in Billionenhöhe eigentlich hyperinflationäre Zustände auslösen, da die diesen wachsenden Geldgebirgen gegenüberstehenden durch die Realwirtschaft erzeugten Güter und Dienstleistungen bestenfalls stagnieren oder sogar schrumpfen.

Massiv mehr Geld bei gleichzeitig weniger Produktion und Wertschöpfung sollte doch für Zustände wie in Deutschland 1923 sorgen. Doch stattdessen fallen die Inflationsraten und manche sprechen sogar von Deflation. Also noch ein Wunder! Daher müssen wir den Finanzjongleuren, Dollarzauberern und Euro-Bauchrednern und ihren Mantras absolut vertrauen. Die von ihnen immer wieder beschworenen Kräfte der Finanz-Wunderheilung versagen niemals. Sie sind am geheimnisvollen Wirken wie man am Dollar, den Boni und den deflationären Tendenzen klar sehen kann: Greenspan-Kadabra, Berni-Simsalabim!

Die Krise mag sämtliche Rekorde brechen. Die Volumina der vernichteten Aktiva hat weltweit die 40-Billionen-Dollar Grenze überschritten und sie wachsen weiter, genau wie die Anzahl notleidender Banken und die Dimensionen der internationalen Ansteckung. Die prompte Transmission auf die Realwirtschaft überrascht selbst systemgläubige Experten, die verzweifelt im Handbuch für Kleinkrisen - kürzlich erschienen im Greenspan-Verlag - nachschlagen. Dort entstehen auch erste Einsichten. So sieht der Chef der Volkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter für 2009 die schärfste Rezession der Nachkriegszeit und erstmalig auch eine Schrumpfung des Welthandels mit einer zweistelligen Rate voraus.

Auch kommen traurige Kunde von Massenveranstaltungen, die beispielsweise von Messen und Ausstellungen, die als führender Indikator für den Konjunkturverlauf gelten. Dort gilt ein völlig neues Motto: «Stell dir vor, es ist Messe und keiner geht hin!» Es herrscht Glanz durch Abwesenheit. Doch die Reaktionszeiten unserer verehrten wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger werden immer kürzer und ihre Massnahmen greifen immer besser. Ein Rettungsgipfel jagt den anderen, Die Zinsen wurden schon ohne Fallschirm aus ihrem Flugzeug gestoßen. Ihr Aufprall auf den Null-Hügel steht unmittelbar bevor. Genau dies hat Japan vor 20 Jahren getan und man laboriert noch immer unter krisenhaften Zuständen.
Vielleicht sollten wir den verlorenen zwei Jahrzehnten der Japaner einige weitere verlorene Jahrzehnte hinzufügen? Abwechslung ist schließlich immer gut.

Gewaltige Konjunkturpakete werden mit lässiger Routine bereitgestellt und Liquiditätsspritzen wie bei einer Groß-Feuerwehrübung verabreicht, wobei das ungeheure Ausmaß nach Jahrzehnten leerer Geldtöpfe mehr als verwundert. Gestern noch völlige Ebbe in allen Kassen und heute können sie die Geldmengen nicht mehr fassen. Man braucht ständig neue und wuchtigere Tresore und größere Speicher für das neue Digitalgeld. Das schafft dringend notwendige neue Arbeitsplätze im Tresorbau, was wiederum die sozialen Spannungen abbaut. Schade nur, dass außerhalb dieser Kleinbranche wie auch im boomenden Bereich der Insolvenzverwalter massiv Stellen abgebaut werden. Aber man ist gut gerüstet. Die Geldquellen sind ja ganz plötzlich unerschöpflich geworden. Wieso eigentlich? Ganz einfach: Wir hatten sie früher einfach noch nicht entdeckt. Genau wie beim Öl kann Quellensuche eben etwas dauern.

Nachrichten wie beispielsweise von der Lloyds-Gruppe, die gerade in ein Milliardenloch stürzte, und genau wie die Royal Bank of Scotland immer wieder neue Beträge von der Regierung einfordert, sind recht unterhaltsam und eignen sich gut für TV-Hausfrauensendungen an späten Vormittagen. Zu schade nur, dass die entsprechenden abschreibungsverdächtiger Sümmchen jedesmal den Staatshaushalt mittelgroßer Länder übertreffen. Oder wie steht es mit der AIG-Versicherung? Offenbar nicht schlecht.

Anfang März 2009 meldete diese einen neuen Quartalsverlust, diesmal von lumpigen 62 Milliarden $. Zum dritten Mal binnen weniger Monate war eine Rettungsaktion mit 30 Milliarden $ fällig. Zuvor waren schon insgesamt 160 Milliarden $ an Notgeldern geflossen. So langsam summieren sich die Rettungssummen auf eine Drittel Billion $. Und das für eine einzige Unternehmung, die zusammen mit solchen Herzchen wie Fannie Mae und Freddie Mac oder die Citigroup - zu einer zahlreichen und weiterwachsenden Gruppe gehören, deren Mitglieder immer wieder um staatliche Hilfe betteln müssen. Aber Allvater Staat hat’s ja - und das im Überfluss. Nur bleibt rätselhaft, warum niemand früher auf solch nahe liegenden Ideen kam. Schuld müssen wohl die Ergebnisse der Pisa-Studie sein.




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