Die Zentralbanken treiben uns in die Null-Rendite-Welt
05.07.2019 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
- Seite 3 -
Wie man für Niedrig- und Nullzinsen sorgtWie beeinflusst die Zentralbank eigentlich die Marktzinsen? Das macht sie (üblicherweise) auf drei Wegen:
(1) Refinanzierung der Banken
Geschäftsbanken müssen sich bei der Zentralbank refinanzieren: Denn sie benötigen Zentralbankgeld, um Kredite vergeben zu können. Und das Zentralbankgeld bekommen die Geschäftsbanken nur von der Zentralbank (sie ist der Monopolproduzent des Zentralbankgeldes). Die Zentralbank stellt das Zentralbankgeld üblicherweise per Kreditvergabe zur Verfügung und legt dabei den von den Banken zu zahlenden (Leit-)Zins fest.
Der Leitzins, den die Zentralbank bestimmt, hat einen bedeutenden Einfluss auf den Langfristzins beziehungsweise alle Zinsen in der Volkswirtschaft. Das erklärt sich wie folgt: Der Langfristzins entspricht im einfachsten Fall den erwarteten kurzfristigen Zinsen. Übermittelt die Zentralbank also ihre künftig angestrebte Zinssetzung den Finanzmärkten, dann hat sie auch den Langfristzins (beziehungsweise alle Zinsen) mehr oder weniger fest im Griff.
(2) Anleihekäufe
Die Zentralbanken können den Langfristzins direkt beeinflussen, indem sie Anleihen im Markt aufkaufen: Wenn sie Schuldpapiere erwerben, erhöhen sie die Kurse und senken dadurch die Renditen ab. Im Grunde können die Zentralbanken den Langfristzins jederzeit auf das politisch gewünschte Niveau bringen. Die Zentralbank muss dabei nicht einmal als Anleihekäufer auftreten: Wenn die Finanzmärkte verstehen, wo die Zentralbank den Langfristzins sehen will, liegt es im Interesse der Investoren, solange zu kaufen und zu verkaufen, bis der Zins genau dort angekommen ist. Kein Investor wird gegen die Zentralbanken spekulieren wollen - die Zentralbank besitzt schließlich unbeschränkte Preissetzungsmacht im Anleihemarkt.
Quelle: Thomson Financial; Graphik Degussa.
(3) Negativer Einlagenzins
Ein negativer Einlagenzins bedeutet, dass Banken, die Überschussguthaben (d. h. Zentralbankgeldguthaben abzüglich Mindestreservehaltung) bei der EZB halten, eine Gebühr in Höhe von derzeit 0,4 Prozent zu bezahlen haben. Hält eine Bank beispielsweise ein Überschussguthaben in Höhe von 1.000.000 Euro für ein Jahr bei der EZB, verfügt sie am Ende nur noch über 996.000 Euro. Verständlich also, dass jede Bank versuchen wird, dem Strafzins zu entkommen. Aber wie?
Sie kann zum Beispiel Anleihen mit kurzer Laufzeit kaufen. Das führt dazu, dass die Nachfrage nach diesen Anleihen steigt, die Kurse in die Höhe klettern und die Renditen absinken. Die Renditen der Anleihen werden folglich in Richtung des negativen Einlagenzinses nach unten gezogen. Solange die Anleiherendite noch über dem negativen Einlagenzins liegt (z. B. bei minus 0,2 Prozent), lohnt sich der Kauf der Schuldpapiere:
Ein Verlust von 0,2 Prozent ist immer noch besser als ein Verlust von 0,4 Prozent. Wenn alle Banken und Investoren mit diesem Kalkül operieren, steigt irgendwann auch die Nachfrage nach Anleihen mit langen Laufzeiten. Und auch Schuldpapiere, die von Schuldnern mit schlechter Kreditqualität emittiert wurden, werden attraktiv(er) aus Anlegersicht. Der negative Einlagenzins übt so gesehen einen Abwärtsdruck auf das ganze Zinsumfeld aus, und viele Renditen werden dadurch in den Negativbereich gezogen. Und je tiefer der Einlagenzins in den Minusbereich gesetzt wird, desto niedriger werden auch alle übrigen Zinssätze ausfallen.
Eine Alternative zum Anleihekauf besteht für Banken darin, Kredite an Unternehmen und Konsumenten zu vergeben, um ihre Überschussguthaben abzubauen. Das aber macht erfordert, dass Banken genug Eigenkapital besitzen, denn risikobehaftete Kredite müssen sie mit Eigenmitteln unterlegen. Wenn die Banken ihr Kreditangebot ausweiten, dann sinken auch die Kreditkosten im Markt. Ein negativer Einlagenzins übt aber nicht nur Abwärtsdruck auf die Zinsen an den Kreditmärkten aus. Der Effekt reicht weiter.
Folgen für die Vermögenswerte
Die Null- und Negativzinspolitik hat unmittelbare Auswirkungen auf die Preise der Vermögensgüter wie Aktien, Häuser und Grundstücke. Um das zu erkennen, sei an dieser Stelle auf das bekannte "Gordon-Growth-Model" zur Erklärung der Aktienkurse verwiesen. Die Formel lautet:
Aktienkurs = D / (i - g),
wobei D = Dividende (oder: Gewinn), i = Marktzins und g = Gewinnwachstum. Die Grundannahme ist, dass i > g ist.
Quelle: eigene Berechnungen.