Suche
 
Folgen Sie uns auf:

Die Zentralbanken treiben uns in die Null-Rendite-Welt

05.07.2019  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
- Seite 4 -
Man kann leicht erkennen, dass der Aktienkurs steigt (fällt), wenn D steigt (fällt); dass der Aktienkurs steigt (fällt), wenn i fällt (steigt); und dass der Aktienkurs steigt (fällt), wenn g steigt (fällt).

Wenn zum Beispiel D = 10 Euro, i = 5% und g = 0% sind, ergibt sich ein Aktienkurs von 200 Euro [10 / (0,05 - 0,00) = 200].

Gäbe es ein positives Gewinnwachstum von g = 2%, so stiege der Aktienkurs auf 333,33 [10 / (0,05 - 0,02)].

Würde die Zentralbank den Zins auf 4% absenken, und bliebe das Gewinnwachstum bei 2%, so würde die Aktie auf 500 steigen.

Fällt das Gewinnwachstum hingegen auf 1%, bleibt der Aktienkurs unverändert bei 333,33 [10 / (0,04 - 0,01)].

Und würde bei einem Zins von 4% das Gewinnwachstum auf 0,5% absinken, so fiele die Aktie auf 285,71 (also: 10 / (0,04 - 0,005).

Wie zu erkennen ist, ist neben dem Zins auch das (erwartete) Gewinnwachstum bedeutsam. Die wichtige Frage lautet: Was bestimmt das Gewinnwachstum? Vermutlich spielt eine ganze Reihe von Faktoren eine Rolle: Niedrige Steuern, unternehmerische Freiheiten und eine wachsende Bevölkerung dürften tendenziell für ein positives Gewinnwachstum sorgen; hohe Steuern, eine ausgeprägte Regulierungsdichte und schrumpfende Bevölkerung tendenziell für ein abnehmendes, im Extremfall sogar sinkendes Gewinnwachstum.

Man kann auch davon ausgehen, dass die Zinspolitik der Zentralbank Einfluss auf das erwartete Gewinnwachstum nimmt. In der kurzen Frist mag dieser Einfluss positiv sein: Die Investoren meinen, die Niedrigzinsen unterstützen die Konjunktur und bewahren die Unternehmen vor Verlusten und die Arbeitnehmer vor Arbeitslosigkeit. Doch was passiert in der langen Frist? Was geschähe, wenn die Niedrig- oder Negativzinspolitik letztlich einen negativen Effekt auf das Gewinnwachstum der Unternehmen ausübt? Das sind begründete Fragen.

Die Niedrigzinspolitik hält nämlich unrentable Unternehmen und Banken über Wasser. Den besseren Anbietern wird es erschwert, Marktanteile hinzuzugewinnen. Der Wettbewerbsdruck nimmt ab, und darunter leiden Unternehmensgewinne, Investitionen, Wachstum und Beschäftigung. Und dadurch nimmt dann auch die Schuldentragfähigkeit der Volkswirtschaft ab: Schuldner geraten in Probleme, ihren Schuldendienst zu leisten. Mit anderen Worten: Wenn die künstliche Niedrigzinspolitik das Wirtschaftswachstum schmälert, und sie zuvor die Vermögenspreise aufgebläht hat, wird die Blase früher oder später platzen.


Aufbau und Platzen der Preisblase

Open in new window
Quelle: Eigene Berechnungen. Annahme: Die Rendite auf das eingesetzte Kapital ist 5 Prozent pro Jahr für die kommenden 20 Jahre. P = Kaufpreis der Aktie. CAGR = Cumulated Annualized Growth Rate, d. h. annualisierte stetige Verzinsungsrate.


Im Zuge einer Niedrigzinspolitik, die die Zinsen auf oder gar mitunter unter die Nulllinie zwingt, kommt es zunächst aber zu weitreichenden Preisveränderungen in der Volkswirtschaft. Sie treffen insbesondere auch die Vermögensmärkte. Dazu ein illustratives Beispiel.

Nehmen wir an, es gibt eine börsennotierte Firma. Sie hat Eigenkapital in Höhe von 100 US$, und ihre Kapitalrendite beträgt 5% pro Jahr für die nächsten 20 Jahre (siehe Abb. 5). Wenn man die Aktie für 100 US$ kauft, beträgt die Investitionsrendite 5% p.a. Wenn man das Unternehmen hingegen für 50 US$ kaufen kann (beispielsweise zu einem Zeitpunkt, an dem an der Börse Panik herrscht), wäre die Investitionsrendite höher, in diesem Fall 8,7% p.a. Die Botschaft dieser Zahlen ist offensichtlich: Je niedriger der Kaufpreis der Aktie (der Investition) ist, desto höher fällt die Investitionsrendite aus.

Angenommen, der Marktzinssatz beträgt 5% p.a., und die Aktie handelt bei 100 US$. Dann stellt sich plötzlich auf den Finanzmärkten die Erwartung ein, der Marktzinssatz werde auf 3% p.a. sinken. In diesem Falle würde sich der Aktienkurs der Firma auf 146,91 US$ erhöhen. Die Aktienpreissteigerung beschert dem Aktionär einen (Buch-)Gewinn von fast 47%. Wie erfreulich! Wer jedoch die Aktie zu dem nun erhöhten Kurs kauft, wird damit in den kommenden Jahren nur noch 3% p.a. verdienen.

Was würde passieren, wenn die Marktteilnehmer erwarten, dass der Zins weiter auf zum Beispiel 0,10% fällt? Der Aktienkurs würde noch weiter ansteigen, würde 260,08 US$ erreichen - und das beschert einen weiteren (Buch-)Gewinn von 77,03% [(260,08 / 146,91 - 1) * 100]. Sobald der Aktienkurs aber auf dieses Niveau gestiegen ist, wird jeder Investor, der dann noch kauft, für die restlichen 20 Jahre eine Rendite von nur 0,10% p.a. erzielen.

Vor diesem Hintergrund können wir verstehen, wohin die Senkung der Zinssätze der Zentralbanken führt: Es entsteht die Tendenz, alle Renditen in der Wirtschaft in Richtung des von der Zentralbank heruntermanipulierten Marktzinssatzes zu ziehen. Dieser Prozess zeigt sich in Form eines Aufblähens der Vermögenspreise - die Preise also für Aktien, Staats- und Unternehmensanleihen, Immobilien, Grundstücke und auch Rohstoffe (die nach ihrem diskontierten Grenzkostenprodukt bewertet werden). Doch auch das ist noch nicht das Ende der Geschichte.


Marktwirtschaft unter Druck

Wenn alle Zinsen und Renditen den Nullpunkt erreichen, haben die Menschen keinen Anlass mehr zu sparen, und die Investoren keine Anreize mehr zu investieren. Kapitalverzehr setzt ein: Der Verbrauch steigt auf Kosten des Sparens, Ersatz- und Neuinvestitionen bleiben aus. Es kann eine ganze Weile dauern, bis ersichtlich wird, dass die Volkswirtschaft aus der Substanz lebt; dass eine Geldpolitik, die den Zins auf immer niedrigere Niveaus drückt, keinen Wohlstand bringt, sondern für den zukünftigen Wohlstand abträglich ist.

Sobald die Anleger das einsehen, werden die gestiegenen Vermögenspreise nach unten stürzen. So werden beispielsweise bei Aktien die Gewinnerwartungen zurückgestuft, das lässt die Barwerte der Unternehmen und damit auch ihre Aktienkurse fallen. Sinkende Vermögenspreise reduzieren das Eigenkapital in den Bilanzen von Verbrauchern und Unternehmen. Fehlinvestitionen treten zutage, und der Boom verwandelt sich in einen Bust.


Bewerten 
A A A
PDF Versenden Drucken

Für den Inhalt des Beitrages ist allein der Autor verantwortlich bzw. die aufgeführte Quelle. Bild- oder Filmrechte liegen beim Autor/Quelle bzw. bei der vom ihm benannten Quelle. Bei Übersetzungen können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Der vertretene Standpunkt eines Autors spiegelt generell nicht die Meinung des Webseiten-Betreibers wieder. Mittels der Veröffentlichung will dieser lediglich ein pluralistisches Meinungsbild darstellen. Direkte oder indirekte Aussagen in einem Beitrag stellen keinerlei Aufforderung zum Kauf-/Verkauf von Wertpapieren dar. Wir wehren uns gegen jede Form von Hass, Diskriminierung und Verletzung der Menschenwürde. Beachten Sie bitte auch unsere AGB/Disclaimer!




Alle Angaben ohne Gewähr! Copyright © by GoldSeiten.de 1999-2024.
Die Reproduktion, Modifikation oder Verwendung der Inhalte ganz oder teilweise ohne schriftliche Genehmigung ist untersagt!

"Wir weisen Sie ausdrücklich auf unser virtuelles Hausrecht hin!"