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Die EZB und das Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Ein (Er-)Klärungsversuch

28.06.2020  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Ökonomisch betrachtet gibt es gute Gründe, die Anleihekäufe der EZB als ein Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung nach Artikel 123 AEUV einzustufen.

Ein zentraler Baustein in der Euro-Architektur ist das Verbot für die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Euro-Zentralbanken, die öffentlichen Haushalte zu finanzieren. Er ist folgender Einsicht zu verdanken: Politiker und Regierungen, die wiedergewählt werden wollen, finanzieren die Wohltaten, die sie ihrer Wählerschaft zuschanzen wollen, nur allzu gern mit neuen Schulden. Denn die Kreditaufnahme stößt meist auf weniger politischen Widerstand als das Anziehen der Steuerschraube.
In Demokratien, in sogenannten "Wohlfahrtsstaaten", ist der Anreiz, die Staatsverschuldung in die Höhe zu treiben, besonders stark ausgeprägt.

Doch ist ein Staat erst einmal hoch verschuldet, und droht ihm gar die Zahlungsunfähigkeit, ist absehbar, dass die Zentralbank angewiesen wird, die elektronische Notenpresse anzuwerfen, um die offenen Rechnungen mit neu geschaffenem Geld zu bezahlen. Mit anderen Worten: Auf die Überschuldung folgt die Inflationspolitik.


Zwei Schutzwälle

Um also zu verhindern, dass es überhaupt so weit kommen kann, haben die Euro-Konstrukteure zwei "Schutzwälle" errichtet:

Zum einen wurde 1997 ein Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) beschlossen. Er sollte die Haushaltsdefizite der Staaten im Zaume halten: Die Obergrenze des Schuldenstands wurde mit 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) festgeschrieben, das Haushaltsdefizit auf maximal 3 Prozent des BIP begrenzt. Doch leider: Seit 1999 lag die Schuldenquote des Euroraums nicht in einem Jahr bei oder unter 60 Prozent. Und im März 2020 wurde der SWP aufgrund der Coronavirus-Krise außer Kraft gesetzt.

Zum anderen hat man den nationalen Euro-Zentralbanken wie auch der Europäischen Zentralbank (EZB) per Gesetz untersagt, die Haushalte der Euro-Staaten (direkt) zu finanzieren. Im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union liest sich dieses Verbot wie folgt:


Art. 123 AEUV (ex-Artikel 101 EGV)

(1) Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der Europäischen Zentralbank oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten (im Folgenden als "nationale Zentralbanken" bezeichnet) für Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sind ebenso verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die Europäische Zentralbank oder die nationalen Zentralbanken.

(2) Die Bestimmungen des Absatzes 1 gelten nicht für Kreditinstitute in öffentlichem Eigentum; diese werden von der jeweiligen nationalen Zentralbank und der Europäischen Zentralbank, was die Bereitstellung von Zentralbankgeld betrifft, wie private Kreditinstitute behandelt.


Die EZB und die nationalen Euro-Zentralbanken dürfen den Staaten also keine Direktkredite (in Form von Kassenkrediten oder anderen Darlehensformen) gewähren. Heutzutage zapfen die Staaten die Kreditmärkte allerdings nicht primär über Darlehen an, sondern vor allem über die Ausgabe von Anleihen beziehungsweise Schuldtiteln. Verboten ist der EZB und den nationalen Euro-Zentralbanken nur der "unmittelbare Erwerb" von Euro-Staatsschulden, ihr "mittelbarer Erwerb" ist nicht untersagt.

Das Anleihekaufverbot gilt demnach für den Erwerb von Anleihen im Primärmarkt. Der Primärmarkt ist der Markt, auf dem eine neue Anleihe erstmalig gehandelt wird, beziehungsweise hier bildet sich ihr erster Marktpreis. Im Sekundärmarkt werden bereits im Umlauf befindliche Anleihen gehandelt.

Der Grund, warum der EZB und den nationalen Euro-Zentralbanken der "unmittelbare Erwerb" von Staatsanleihen (also der Kauf im Primärmarkt) verboten ist, liegt auf der Hand: Es soll sichergestellt werden, dass die Staaten sich zu "marktüblichen" Konditionen verschulden. Die Euro-Baumeister hofften wohl, auf diese Weise einer übermäßigen Verschuldung der Staaten entgegenwirken zu können

Denn nimmt ein Staat immer mehr Schulden auf, ist in einem ungehemmten Kapital(-sekundär-)markt zu erwarten, dass die Kreditzinsen ansteigen, und dass die Verteuerung der Kredite die Staaten entmutigt, sich immer weiter zu verschulden. Wäre es hingegen der EZB und den nationalen Euro-Zentralbanken erlaubt, Staatsanleihen im Primärmarkt zu erwerben, kämen ganz sicher keine marktüblichen, sondern "politische" Zinskonditionen zustande: Die Staaten würden ihre Zentralbanken drängen, ihnen Kredite zu den geringsten Kreditkosten bereitzustellen, und die Attraktivität der Verschuldung würde gefördert.

Paradoxerweise muss man hier anmerken: Allein dadurch, dass die Zentralbanken Staatsanleihen als Pfand im Kreditgeschäft akzeptieren, privilegieren sie diese Schuldpapiere und sorgen dafür, dass der Zins der Staatsanleihen geringer ausfällt (im Vergleich zu einer Situation, in der die Zentralbanken keine Staatsanleihen beleihen oder aufkaufen). Die privilegierte Stellung, die die Zentralbanken den Staatsanleihen einräumen, lässt sich natürlich bereits als eine Form der monetären Staatsfinanzierung auslegen. Doch sie gilt heutzutage als akzeptabel, wird meist nicht weiter problematisiert.


Wenn der Sekundärmarkt den Primärmarkt bestimmt

Im Zuge der Anleiheaufkaufpolitik der EZB und der nationalen Euro-Zentralbanken ist eine Situation entstanden, die die Abgrenzung zwischen der Preisfindung auf dem Primärmarkt und der auf dem Sekundärmarkt zum Verschwinden bringt, beziehungsweise in der die Preisfindung auf dem Sekundärmarkt von den Zentralbanken maßgeblich bestimmt wird. Die Folge: Die Konditionen im Sekundärmarkt bestimmen die Konditionen im Primärmarkt. Dazu die folgenden Überlegungen:


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