Die EZB auf den Spuren der Reichsbank
17.07.2020 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Ganz wichtig an dieser Stelle: Die Reichsbank war von den Alliierten am 26. Mai 1922 in die Autonomie entlassen worden. Man wollte sie unabhängig von der Politik machen. Dem Geldwert hat das jedoch nicht geholfen. Die Unabhängigkeit der Reichsbank war kein wirksames Bollwerk gegen Hyperinflation. Hjalmar Schacht (Reichsbankpräsident von 1923 bis 1930 und von 1933 bis 1939) schrieb dazu:"In immer wachsendem Maße musste das Reich auf die Reichsbank zurückgrei-fen, um seine Existenz zu fristen, und weil es sich um die Existenz des Reiches handelte, glaubte die Reichsbank sich auch dann nicht versagen zu können, als ihr durch die Gesetzgebung von 1922 die formelle Autonomie zuteil geworden war. Die Absicht des Gesetzes von 1922, die Reichsbank von den Ansprüchen des Staates freizumachen, scheiterte gerade im entscheidenden Moment, weil das Reich keine andere Lösung fand, sich finanziell über Wasser zu halten, als den inflationistischen Rückgriff auf die Notenpresse."
Etwas zum Geld
Bevor ich zum Euro und zur Europäischen Zentralbank überleite, seien noch zwei kurze Anmerkungen zum Geld - dem allgemein akzeptierten Tauschmittel - gemacht.
(1) Ökonomisch gesehen bedeutet die Ausweitung der Geldmenge Inflation. - Heutzutage wird unter Inflation ein Ansteigen der Güterpreise verstanden ("Güterpreisinflation"). Doch das ist eine verkürzte Sicht. Ökonomisch sinnvoll lässt sich Inflation als ein Ausweiten der Geldmenge interpretieren. Eine steigende Geldmenge kann, muss aber nicht mit steigenden Güterpreisen einhergehen. Güterpreisinflation ist so gesehen nur eine mögliche Folge der Geldmengenvermehrung.
Ein Ausweiten der Geldmenge führt zur Umverteilung von Einkommen und Vermögen. Dabei gibt es Gewinner und Verlierer. Dazu ein Beispiel: Seit Euro-Einführung im Januar 1999 ist die Geldmenge M3 bis heute um jahresdurchschnittlich 5,2% angestiegen. Die Löhne in Deutschland sind in dieser Zeit allerdings nur um 2,1% gestiegen. Wenn, liebe Leserin, lieber Leser, ihr Einkommen nur um durchschnittlich 2,1% pro Jahr gestiegen ist, können sie versichert sein, dass viele andere relativ reicher geworden sind im Vergleich zu Ihnen.
(2) Edelmetalle sind gutes Geld, Gold und Silber sind gutes Geld. - Die währungshistorische Norm ist, dass Edelmetalle, allen voran Gold und Silber, als Geld verwendet wurden. Dass heute ungedecktes Papiergeld oder Fiat-Geld (ich werde dazu gleich noch etwas sagen) umläuft, ist nicht etwa einer ökonomischen Notwendigkeit geschuldet. Es hat vielmehr einen politischen Grund: Mit der zunehmenden Verbreitung kollektivistischer-sozialistischer Ideen wollten die Regierungen die Kontrolle über das Geld und damit vor allem die Möglichkeit, die Geldmenge nach Belieben auszuweiten. Dem stand das Goldgeld im Wege - und wurde daher abgeschafft. Mit schlimmen Folgen, wie das Zitat von Hjalmar Schacht nahelegt:
"Die Banknote oder das Staatspapiergeld haben sich nur dadurch einführen können, daß der Staat oder die Notenbank versprachen, den ausgegebenen Papiergeldschein jederzeit in Gold umzutauschen. Diese Möglichkeit der Einlösung in Gold jederzeit sicherzustellen, muss also das Bestreben aller Papiergeldherausgeber sein. Ein Staat oder eine Notenbank, die diese Möglichkeit durch Fahrlässigkeit oder Willkür verscherzen, versündigen sich gegen die Staatsbürger." In der Tat: Mit dem Ende des Goldgeldes kam die chronische Geldentwertung - mit all ihren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Negativeffekten.
Nach diesen zwei Anmerkungen zum Geld will ich jetzt überleiten zur EZB und dem Euro.
EZB und Fiat-Euro
Seit dem 1. Januar 1999 ist der Euro für viele Menschen in Europa die Währung. Mittlerweile haben 19 der 27 Länder der Europäischen Union (EU) den Euro als Währung übernommen. Der Euroraum hat derzeit eine Bevölkerung von knapp 342 Millionen Menschen. Rechnet man die Nationen dazu, die den Euro verwenden oder sich mit ihrer eigenen Währung an ihn gebunden haben, dann zeigt sich, dass mittlerweile 539 Millionen Menschen am Euroeinheitsgeld hängen.
Grund genug, dass wir uns den Euro etwas genauer anschauen sollten. - Der Euro repräsentiert Geld, das nicht durch Gold oder durch irgendeine andere Ware gedeckt ist. Er ist vielmehr ungedecktes Geld - genauso wie es die Papiermark ab August 1914 war. Der Euro lässt sich beim Emittenten, der EZB, in nichts eintauschen. Wir haben es also mit einem Fiat-Euro zu tun, der Euro ist Fiat-Geld.
Das Wort Fiat stammt aus dem Lateinischen und heißt "so sei es". Fiat-Geld ist also verordnetes, aufgezwungenes Geld. Fiat-Geld hat eine Reihe von ökonomischen und ethischen Defekten. Es ist inflationär. Es sorgt für eine ungerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen, ist im wahrsten Sinne des Wortes sozial ungerecht. Fiat-Geld treibt die Volkswirtschaften in die Überschuldungsfalle, und es ist vor allem auch ein Wachstumselixier für den Staat, den "tiefen Staat" ("Deep State").
Die staatseigene Zentralbank kann die Fiat-Geldmenge beliebig ausweiten und den Staat mit Krediten zu günstigsten Konditionen finanzieren. Die Finanzkraft des Staates wächst auf diese Weise über alle Maßen an. In Demokratien setzt das regelmäßig einen unheilvollen Prozess in Gang. Die Regierungen kaufen Wählerstimmen auf Pump. Die Wähler lassen sich das gefallen, wenn das finanzielle Füllhorn über ihnen ausgeschüttet wird. Der Staat dehnt sich immer weiter aus, dringt in jeden Wirtschafts- und Gesellschaftsbereich vor. Die freie Marktwirtschaft, die freie Gesellschaft fallen ihm zu Opfer.
Das Fiat-Geld leidet also nicht nur unter ökonomischen, sondern auch ethischen Defekten. Der US-Ökonom Irving Fisher (1867-1947) schrieb dem Fiat-Geld sogar zerstörerische Wirkung zu: ”Irredeemable paper money has almost invariably proved a curse to the country employing it.“
Im Zuge der Erschaffung des Fiat-Euro gab es Bemühungen, ihn gegen politischen Missbrauch abzusichern. Drei Maßnahmen dazu will ich erwähnen.
Maßnahme 1: Im Maastricht-Vertrag heißt es ausdrücklich, die Aufgabe der EZB sei es, Preisstabilität zu gewährleisten. Doch was wurde daraus gemacht? Der EZB-Rat hat sich zum Ziel gesetzt, die Konsumgüterpreise jedes Jahr um 2 Prozent ansteigen zu lassen, also den Euro um 2 Prozent pro Jahr zu inflationieren, ihn also um 2 Prozent zu entwerten. Das ist natürlich alles andere als Preisstabilität! (Ich komme auf dieses Problemfeld gleich noch genauer zu sprechen.)