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Die EZB auf den Spuren der Reichsbank

17.07.2020  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Maßnahme 2: Man hat den Rat der EZB politisch unabhängig gemacht. Sie dürfen keine Weisungen von außen, von den Regierungsvertretern aus den Euro-Teilnehmerländern entgegennehmen. Die EZB-Ratsmitglieder genießen Amtszeiten, die meist länger sind als die Amtszeiten der Politiker auf den Regierungsbänken. Auch das soll die politische Unabhängigkeit der Ratsmitglieder fördern. Insgesamt betrachtet ist der EZB-Rat derart unabhängig, dass er sich de facto ganz und gar der Kontrolle durch die nationalen Parlamente entzieht.

Wer kontrolliert eigentlich das, was der EZB-Rat macht? Was, wenn die EZB-Räte Klientelpolitik betreiben - indem sie zum Beispiel Banken begünstigen? Wer hält sie davon ab, Fehler und Dummheiten zu machen? Die EZB hat zwar eine Rechenschaftspflicht, die aber nur in einer Erläuterung ihrer Politik gegenüber dem EU-Parlament (als Anhörung und Gedankenaustausch) besteht. Die EZB ist supranational, und der Verdacht drängt sich in der Tat auf, dass es gar keine wirksamen Kontrollmöglichkeiten durch den Wahlbürger mehr gibt.

Maßnahme 3: Man hat versucht, die Ausweitung der Staatsverschuldung zu verhindern, und zwar durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Er sieht eine Obergrenze der Schuldenlast von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) vor und eine Obergrenze für das laufende Defizit von 3 Prozent des BIP. Denn die Euro-Planer wussten: Wenn der Staat erst einmal überschuldet ist, dann ist es zu spät. Dann brechen alle Dämme. Der Staat fängt an, sich das benötigte Geld zu drucken, also eine Inflationspolitik zu betreiben.

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt hat nicht verhindert, dass die Staatsschulden in vielen Euro-Ländern immer weiter angeschwollen sind; und im März 2020, im Zuge der politisch diktierten Lockdown-Krise, wurde er sogar außer Kraft gesetzt.


Wo ist denn die Inflation?

Vielleicht werden einige nun sagen: Warum die ganze Kritik? Die EZB hat doch ihren Auftrag bislang ganz gut erfüllt! Doch es ist schlichtweg Unsinn zu sagen, es hätte keine Geldentwertung gegeben. Seit seiner Einführung 1999 bis heute hat der Euro 30 Prozent seiner Kaufkraft eingebüßt, gemessen auf Basis der Konsumgüterpreise. Legt man die Häuserpreise im Euroraum zugrunde, betrug der Kaufkraftverlust des Euro 50%. Wenn man die Preise der US-Aktien zugrundelegt, beläuft sich der Kaufkraftverlust des Euro auf 62%. Und gegenüber dem Gold hat der Euro seit seiner Einführung 81% seiner Kaufkraft verloren. Sie sollten also nicht denken, der Euro sei stabiles Geld, dass er nicht inflationiert worden sei!

Und dass die Entwertung der Kaufkraft des Euro, die Güterpreisinflation bald schon zu einem großen Thema wird, wird immer wahrscheinlicher. Das führt mich zu der Politik der Anleihekäufe.


Anleihekäufe der EZB

Spätestens seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 befindet sich der Euro auf der Intensivstation, wird künstlich beatmet. Ein geldpolitisches Rettungsprogramm reiht sich an das andere. Der Ausnahmezustand ist zum Normalzustand geworden. Dazu eine kurzgefasste Chronologie. Im Juli 2009 begann die EZB, Pfandbriefe aufzukaufen ("Covered Bond Purchasing Programme", CBPP). Seine Laufzeit wurde im November 2011 bis Oktober 2012 erweitert. Im Mai 2010 verkündete die EZB, Euro-Staatsanleihen zu kaufen und die Käufe (griechischer, portugiesischer und italienischer Anleihen) mit neu geschaffenen Euro zu bezahlen. Das fand unter dem sogenannten SMP ("Securities Markets Programme") statt.

Im September 2012 verkündete die EZB das OMT Programm ("Outright Moneta-ry Transaktions"). Es soll der EZB erlauben, die Anleihen eines Staates in unbegrenzter Höhe zu kaufen, wenn er Rettungsmittel vom Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) erhält und dessen Auflagen erfüllt. Im Herbst 2014 verkündet die EZB ein "Expanded Asset Purchase Programme" (EAPP). Es umfasst vier Einzelprogramme:

(1) ein neues (drittes) Aufkaufprogramm für Hypothekenanleihen (CBPP3); (2) den Kauf von Asset Backed Securities, das Programm heißt ABSPP; (3) ein Aufkaufprogramm für Staatsanleihen, das seit 2015 unter den Namen Public Sector Purchasing Programme (PSPP) firmiert; (4) ab 2016 werden auch Unternehmensanleihen gekauft - wenn es sein muss auch gleich beim Emittenten. Die Käufe firmieren unter der Überschrift "Corporate Sector Purchase Programme".

Im März 2020 wird das Pandemic Emergency Programme (PEPP) auf den Weg gebracht - mit dem öffentliche und private Schulden in Höhe von 1,35 Billionen Euro monetisiert werden sollen. Was vielleicht technisch und kompliziert klingt, ist im Grunde einfach zu verstehen: Die Anleihekaufprogramme der EZB sind nichts anderes als Geldmengenvermehrungsprogramme. Wie die Reichsbank damals die Druckerpresse laufen ließ, um die Weimarer Republik vor dem Bankrott zu bewahren, lässt auch die EZB die elektronische Druckerpresse laufen, um das Euro-Projekt durchzufinanzieren.


Monetäre Staatsfinanzierung

Sie werden fragen: Wie verträgt sich das mit dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung, das in Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union niedergeschrieben ist? Hiernach darf die EZB Staatsanleihen nicht "unmittelbar" erwerben, also nicht im Primärmarkt, wohl aber "mittelbar" im Sekundärmarkt kaufen. Warum hat man einen "unmittelbaren" Erwerb verboten? Man wollte dadurch sicherstellen, dass die Staaten sich nur zu "marktüblichen" Zinsen finanzieren können, und dass dadurch ihr Verschuldungsanreiz gebremst würde.

Doch mit ihren Anleihekäufen bestimmt die EZB mittlerweile die Marktzinsen im Sekundärmarkt. Und damit werden auch die Zinsen im Primärmarkt geldpolitisch bestimmt. Der Grund: Die Zinsfindung im Primärmarkt erfolgt mit Blick auf den Sekundärmarkt. Handelt eine Anleihe zum Beispiel bei 99 Euro im Sekundärmarkt, wird der Kurs der Anleihe im Primärmarkt nicht unter 99 Euro fallen; der Kurs im Sekundärmarkt markiert quasi die Kursuntergrenze im Primärmarkt.

Ökonomisch gesehen ist durch die EZB-Anleihekäufe also eine Situation entstanden, in der die Zentralbank die Staatsanleihen zu Konditionen kauft, wie sie sich bei einem unmittelbaren Erwerb einstellen würden. Es gehört einige Phantasie dazu, wenn man argumentiert, die EZB betreibe mit ihren Staatsanleiheaufkäufen keine monetäre Staatsfinanzierung. Doch diese Phantasie scheinen der EuGH und das Bundesverfassungsgericht zu besitzen. Beide haben geurteilt, die EZB betreibe keine monetäre Staatsfinanzie-rung, der EuGH im Dezember 2018, Karlsruhe im Mai 2020.



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