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Die EZB auf den Spuren der Reichsbank

17.07.2020  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
- Seite 4 -
Warum nicht stärkere Inflation?

Warum, werden Sie jetzt vielleicht fragen, ist im Zuge der Geldmengenausweitung in den letzten Jahren die Preisinflation nicht noch stärker ausgefallen? In der Zeit vor dem Coronavirus war die EZB-Politik im Wesentlichen darauf beschränkt, den Staaten und Banken günstige Finanzierungskonditionen zu verschaffen. Dazu wurden die Marktzinsen und Kreditprämien heruntermanipuliert. Es wurde vor allem die Basisgeldmenge (in Form von Guthaben der Banken bei der EZB) ausgeweitet. Die aber blieb eingekapselt im Bankensektor. Sie hat nicht dazu geführt, die Geldmengen in den Händen der Konsumenten und Produzenten in die Höhe zu treiben.

Im Zuge der Lockdown-Krise wurden die Weichen nun aber anders gestellt. Die EZB kauft neu emittierte Staatsanleihen in großem Stil (Stichwort PEPP), finanziert die öffentlichen Haushalte mit neu geschaffenem Geld. Die neu geschaffenen Euro zahlen die Staaten aus: an ihre Bediensteten und begünstige Gruppen, als Kurzarbeitergeld, Pensionszahlungen, Subventionen etc. Das neue Geld gelangt auf diese Weise unmittelbar auf die Bankkonten der Empfänger - und das erhöht die für Zahlungs- und Nachfragezwecke verfügbaren Geldmengen M1, M2 und M3.

Wohin führen die Anleihekäufe und die damit einhergehende Geldmengenvermehrung? Machen wir in diesem Sinne eine überschlägige Rechnung auf. Die gesamten Euro-Staatsschulden beliefen sich Ende 2019 sich auf gut 10 Billionen Euro. (Der Lockdown-Kriseneffekt wird an dieser Stelle nicht betrachtet.) Davon hat die EZB bereits 2,8 Billionen aufgekauft. Würde die EZB die restlichen Staatsschulden über die kommenden fünf Jahre aufkaufen (und zwar von Nichtbanken) und dabei auch noch Staatsdefizite in Höhe von 5% pro Jahr finanzieren, würde die Geldmenge M3 um ca. 80% steigen.

Über den Daumen betrachtet, liefe ein Anstieg der Güterpreise um 80% (man unterstellt eine 1:1-Wirkung der Geldmenge auf die Preise) auf eine Verringerung der Kaufkraft des Geldes in Höhe von 44% hinaus. Gestreckt über fünf Jahre wäre das ein Kaufkraftverlust des Euro von 8,8% pro Jahr - in Form von steigenden Konsumgüterpreisen und/oder Vermögenspreisen.


Hyperinflation

Die Gefahr, dass der Inflationierungsprozess aus dem Ruder gerät, dass aus einer Hochinflation eine Hyperinflation wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Denn die Inflation wirkt bekanntlich nur, wenn sie überraschend kommt; Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang auch von "Überraschungsinflation". Wenn neues Geld in Umlauf gegeben wird, steigen auch die Güterpreise, und die Kaufkraft des Geldes nimmt ab. Daher wird die EZB die nominale Geldmenge noch stärker anwachsen lassen, um die Kaufkraft derjenigen zu erhalten, die mit neuer Kaufkraft ausgestattet werden sollen (das sind vor allem die Staaten).

Es kommt ein sich selbst beschleunigender Prozess zustande von immer stärker zunehmender Geldmenge, und immer stärker steigenden Güterpreisen. Und genau das geschah in der Weimarer Republik. Die Geldmengenvermehrung nahm derartige Ausmaße und eine Geschwindigkeit an, dass die Menschen erwarteten, die Geldmengenvermehrung werde sich immer weiter beschleunigen, und eine Flucht aus dem Geld setzte ein. Die Mark ging sprichwörtlich kaputt.


Täuschung

Daraus - und auch anderen Hyperinflations-Erfahrungen - haben die Zentralbankräte der Neuzeit gelernt und den betrügerischen Umgang mit dem ungedeckten Papiergeld quasi perfektioniert. Vier wichtige Maßnahmen seien kurz angeführt.

(1) Die Verschleierungstaktik. Die Zentralbankräte vernebeln geschickt die wahren Folgen ihrer Politik. Sie erklären der Öffentlichkeit, dass sie für stabile Güterpreise einstehen, dass sie die Inflation bekämpfen. Doch das ist eine Unwahrheit. Die Zentralbank bekämpft nicht etwa die Inflation, sie verursacht sie vielmehr! Schließlich erhöht das Ausweiten der Geldmengen - und das ist die Haupttätigkeit der Zentralbanken - die Güterpreise, verursacht Preisinflation und Kaufkraftverlust des Geldes.

Zu behaupten, eine Güterpreisinflation von 2 Prozent pro Jahr sorge für stabile Preise und stabiles Geld, ist eine Täuschung: Beträgt die Güterpreisinflation 2 Prozent p.a., entwertet sich die Kaufkraft des Geldes um 2 Prozent p.a. Oder die Zentralbankräte sprechen von Anleihekäufen, nie aber von der Ausweitung der Geldmenge - weil das Wort "Anleihekäufe" weniger bedrohlich klingt als das Wort "Geldmengenvermehrung".

Die Vertreter der Hauptstrom-Ökonomik geben dabei den Zentralbankräten kräftig Schützenhilfe, geben ihnen dienstbeflissen die passenden Theorien vor: dass ein Ansteigen der Güterpreise von 2 Prozent pro Jahr keine Inflation ist; dass Fiat-Geld gut und richtig ist; dass das Geldschaffen "aus dem Nichts" Wachstum und Beschäftigung fördert; dass Negativzinsen ein Gleichgewicht markieren können.

(2) Die Manipulation der Zinsmärkte. Die Zentralbankräte wissen um die Macht des Zinses. Deshalb drücken sie das gesamte Zinsspektrum herab, weil sie auf diese Weise die Schuldentragfähigkeit der Volkswirtschaften erhöhen, die Dauer und das Ausmaß des Verschuldungsrausches künstlich strecken können. Die Folgewirkungen sind geradezu fatal. Die Verschuldung und damit die wirtschaftliche Abhängigkeit der Menschen von der Niedrigzinspolitik der Zentralbank wächst immer stärker an.

(3) Übernahme der vollen Kontrolle der Geldproduktion. Die Zentralbank übernimmt nach und nach die volle Kontrolle über die Geldproduktion. Schritt 1: Um den Bankensektor jederzeit zahlungsfähig zu halten, stellt die Zentralbank ihm alle benötigten Kredite vollumfänglich bereit. Wenn die Banken dennoch nicht in der Lage oder willens sind, neue Kredite zu vergeben, vor allem die Staaten mit neuen Krediten zu versorgen, kommt Schritt 2: Die EZB kauft Staatsanleihen und weitet die Basisgeldmenge und damit auch die Geldmenge in den Händen der Privaten direkt aus.

Schritt 3 besteht in der Ausgabe von Helikoptergeld: Die Zentralbank überweist neues Geld auf die Bankkonten der Privaten und öffentlichen Stellen, ohne dass dafür eine private oder staatliche Verschuldung erforderlich wäre. Solange es geht, wird die Zentralbank versuchen, die Geldmengenausweitung kontrolliert zu vollziehen; erst dann, wenn die kontrollierte Geldmengenausweitung an ihre Grenzen zu drohen stößt, kommt die unkontrollierte Geldmengenvermehrung zum Einsatz, wenn es gilt, den großen Schuldenkollaps abzuwenden.



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