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Die EZB auf den Spuren der Reichsbank

17.07.2020  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
- Seite 5 -
Cui bono?

Fragen wir uns, wem nutzt das ungedeckte Geld, das Fiat-Geld oder kurz: Cui bono? Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten. Es ist unzweifelhaft, dass das Fiat-Geld Gewinner und Verlierer schafft. Doch wer gehört zu welcher Gruppe?

Zu den Begünstigten zählten in den letzten Jahren vor allem die Staaten. Vielen von ihnen wurde der Bankrott erspart, und sie konnten ihre Macht erhalten und ausweiten. Aber haben davon nicht auch viele Menschen profitiert? Was wäre gewesen, wenn die Staaten Pleite gegangen wären? Menschen hätten ihre Arbeit verloren: Beamte (Lehrer, Professoren, Bürokraten und alle anderen Angestellten des öffentlichen Dienstes; viele Unternehmen, die von Staatsaufträgen leben, wären untergegangen; und Pensionäre hätten keine Zahlungen mehr empfangen. Profitiert haben auch die Banken. Genauer: Die Angestellten der Banken, vor allem die der Investmentbanken. Ihnen hat die EZB nicht nur Verluste erspart, sondern auch Gewinne beschert.

Aber ist die Bankenrettung nicht gut und richtig? Was wäre gewesen, wenn Banken untergegangen wären? Hätten Sparer nicht ihre Guthaben, ihre Ersparnisse verloren? Wären Anleihe- und Aktienmärkte und Häusermärkte nicht kollabiert, hätte es nicht Rezession und Massenarbeitslosigkeit gegeben?

Diese Gedanken deuten das ganze Ausmaß des Fiat-Geld-Problems an. Um es noch klarer herauszuarbeiten, nehmen wir einmal an, man stellt die Menschen im Euroraum vor die Wahl, die da lautet:

(1) Die Inflationspolitik (also die Geldvermehrungspolitik) wird beendet, ein reinigendes Gewitter zugelassen - möglicherweise gehen dabei Staaten und Banken und Firmen und Private Bankrott -, aber danach erholt sich die Wirtschaft wieder, und die Welt wird besser sein ohne Fiat-Geld. Oder: (2) Die Inflationspolitik (die Geldmengenvermehrung) wird fortgeführt in der Hoffnung, dass sich die Lage bessern wird, dass die Volkswirtschaften aus ihren Problemen herauswachsen.

Vermutlich wird die Mehrheit sich für (1) entscheiden. Wenn man diese Einstellung teilt, dann gelangt man auch zum Schluss: Die Volkswirtschaften hängen am Euro wie die Fliegen am Fliegenfänger. Eine weitere Schlussfolgerung ist hier: Die Macht der Zentralbanken und der Interessengruppen, die sie für ihre Zwecke einsetzen können, ist überaus groß geworden. Die Gefahr ist daher, dass alles dem Erhalt des Euro-Schuldgeldes untergeordnet wird, vor allem auch bürgerliche und unternehmerische Freiheiten.


Weltherrschaft und Weltgeld

Das ist eine wichtige Einsicht. Gerade wenn man versucht, die Zukunft des Euro zu beleuchten. Es gab und gibt Stimmen, die sagen, der Euro scheitert, er bricht auseinander, wird "restrukturiert" in einen Nord- und einen Südeuro.

Beispielsweise vermutete der ehemalige Chef der US-Notenbank, Alan Greenspan, im April 2017, dass sich der Euro auflösen werde. Doch man sollte das Ende des Euro vielleicht doch nicht voreilig ausrufen - so ähnlich wie schon Mark Twain anmerkte: "Die Gerüchte über meinen Tod sind stark übertrieben." Der Euro wie auch alle anderen Fiat-Währungen sind nicht nur Mittel zur Erreichung politischer Zwecke, sie sie entfalten auch eine Eigendynamik.

Mit ihr habe ich mich in meinem Buch "Mit Geld zur Weltherrschaft" näher beschäftigt. Ich stelle darin fest, dass es politische Bestreben gibt, die nationalen Fiatwährungen in eine einheitliche Weltfiatwährung zu überführen, einer Weltregierung, einem Weltstaat entgegenzuarbeiten. Ein großer Schritt in diese Richtung ist den demokratischen Sozialisten in Europa gelungen: Anfang 1999 haben 11 Nationen ihre Währungen gegen die Euro-Einheitswährung eingetauscht.

Was “im Kleinen” geklappt hat, lässt sich auch “im Großen” praktizieren. An Vorschlägen, wie man dabei vorgehen kann, mangelt es nicht. Und solange die derzeit international vorherrschende Ideologien des "demokratischen Sozialismus" Bestand hat, sind die politischen Kräfte, die sich für den Erhalt des Euro einsetzen, in der Übermacht. Ein Untergang des Euro ist zwar nicht undenkbar, unter den gegenwärtigen Bedingungen jedoch erscheint das nicht das wahrscheinlichste Szenario zu sein.


Zusammenfassung

Sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren, aus meiner Sicht ist es angebracht zu sagen, dass die EZB auf den Spuren der Reichsbank wandelt. (Damit ist sie übrigens nicht allein. Das gilt für alle großen Zentralbanken der Welt.) Die EZB-Räte, genauso wie ihre Kollegen damals in der Reichsbank, setzen alle Hebel in Bewegung, ein politisches Projekt vor dem finanziellen Zusammenbruch zu bewahren, Staat und Sonderinteressengruppen mit immer mehr neu geschaffenem Geld über Wasser zu halten.

Wie die Reichsbank-Räte führen auch die EZB-Räte mit ihrer Geldvermehrungspolitik die öffentliche Meinung in die Irre, ermöglichen einem Regierungssystem, das bei offener Darlegung der Dinge keine Aussicht auf die Billigung durch das Volk hätte, den Fortbestand. Und genauso wie die Reichsbank-Räte werden auch die EZB-Räte Staaten und Banken flüssig halten, auch wenn das die Kaufkraft des Euro stark herabsetzt.

Es gibt allerdings einen Unterschied zwischen damals und heute: Anders als die Reichsbank-Räte beherrschen die EZB-Räte das Handwerk der Täuschung der Öffentlichkeit viel besser. Sie wissen vor allem auch die Möglichkeiten der Zinsmanipulation für ihre Zwecke zu nutzen; und sie sind weitaus besser in der Lage, die Vermehrung der Geldmenge zu kontrollieren.

Wenn Sie mich fragen: Platzt der Euro? Dann wäre meine Antwort, dass der Fiat-Euro länger überdauert, als viele meinen; dass ein Schrecken ohne Ende wahrscheinlicher ist als ein Ende mit Schrecken. Und wenn Sie mich fragen: Kommt die Inflation? Dann ist meine Antwort: Sie ist nie weggewesen, und ja, sie wird zulegen - ob nun in Form von Konsumgüter- und/oder Vermögenspreisinflation.

Ich hoffe, ich konnte deutlich machen, dass Fiat-Geld beziehungsweise Fiat-Geld in den Händen des Staates eine denkbar schlechte Idee ist. In aller Deutlichkeit möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben: Das Fiat-Geld schafft den allmächtigen Staat ("Deep State"), es zerstört die freie Marktwirtschaft, zerstört die individuelle Freiheit beziehungsweise das, was heute noch davon übrig ist. Die Lösung dieses ernsten Problems besteht darin, dem Staat, der Zentralbank das Geldmonopol zu entziehen und einen freien Markt für Geld zu eröffnen - ein Konzept, das eine Reihe von renommierten Ökonomen bereits ausgearbeitet und vorgestellt haben.

An dieser Stelle bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, meine Ausführungen waren für Sie anregend und auch ein bisschen aufregend!


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Quelle: Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH


Dieser Artikel ist ein Auszug des Vortrages, den Thorsten Polleit am 22. Juni 2020 beim Friedrich August von Hayek-Club Köln gehalten hat.


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