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Der Antikapitalist. Ein Weltverbesserer, der keiner ist

06.12.2020  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
In diesem Aufsatz möchte ich einige Aspekte, die in meinem neuen Buch angesprochen werden, in kurzer Form vortragen. Beginnen möchte ich mit einem persönlichen Eindruck.

Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass sich vor unseren Augen eine Neuauflage der Marx’schen Verelendungstheorie abspielt.

Die Verelendungstheorie besagt, dass der Kapitalismus zur Verarmung der breiten Bevölkerung führe. Und um das zu verhindern, müsse der Kapitalismus abgeschafft und durch den Sozialismus-Kommunismus ersetzt werden. Doch die Verelendungstheorie ist nachweislich eine falsche Theorie. Doch sie lebt in abgewandelter Form fort: Alle Übel der Welt - ob Finanz- und Wirtschaftskrisen, Einkommensungleichheit oder Umweltschäden - werden dem Kapitalismus, also dem System der freien Märkte angelastet.

Menschen (alte wie junge) ziehen durch die Städte mit Plakaten, auf denen steht, Kapitalismus funktioniere nicht, er sei der Grund für die Missstände und folglich durch eine moderne Form des Sozialismus zu ersetzen. Doch diese Kapitalismuskritik ist Ausdruck einer großen intellektuellen Verwirrung. Denn - und ich will es an dieser Stelle möglichst eindrücklich formulieren - wir leben nicht im Kapitalismus. Kapitalismus gibt es weder diesnoch jenseits des Atlantiks.

Deshalb kann man auch nicht sinnvollerweise den Kapitalismus zum Schuldenbock machen für unerwünschte wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen. Die offene und verdeckte Dauerkritik am Kapitalismus (an Schulen, Universitäten, in der Presse, in der Politik) hinterlässt jedoch Spuren im Denken und Handeln der Menschen. Sie schürt eine sich selbst verstärkende antikapitalistische Mentalität.

Das ist eine besorgniserregende Entwicklung, weil die Antikapitalisten keine Weltverbesserer sind, sondern (bewusst oder unbewusst) daran mitwirken, die Grundlagen für Wohlstand und Frieden auf der Welt zu zertrümmern. Die Befürchtung will ich im Folgenden näher erklären. Beginnen wir dazu mit der Frage: Was ist Kapitalismus?


Was ist Kapitalismus?

Im heutigen Sprachgebrauch ist das Wort Kapitalismus ein politischer Kampfbegriff, der in der Regel wenig erhellend ist, aber stark polarisierend wirkt. Aus ökonomischer Sicht lässt sich der Begriff Kapitalismus jedoch mit drei Eigenschaften definieren und verständlich machen.

(1) Der Kapitalismus zeichnet sich durch einen unbedingten Respekt vor dem Eigentum aus. Das heißt, Eigentum kann nur auf drei nicht-aggressiven Wegen erworben werden: (i) Landnahme (also Inbesitznahme von Ressourcen, die noch nicht von jemand anderem beansprucht wurden), (ii) Produktion und (iii) Tauschen und Schenken.

(2) Im Kapitalismus verwenden die Menschen Geld, um eine Wirtschaftsrechnung durchzuführen. Das Rechnen mit Geld macht es überhaupt erst möglich, komplexe, arbeitsteilige Produktionswege durchzuführen. Die Geldverwendung ist im Kapitalismus unverzichtbar.

(3) Im Kapitalismus sind die Märkte frei: Jeder hat die Freiheit, seinen Mitmenschen Güter anzubieten; und jeder hat die Freiheit, die Güter, die er haben möchte, nachzufragen. Und in freien Märkten herrscht freier Wettbewerb: Jeder kann als Anbieter oder Nachfrager in einen Markt eintreten und auch wieder austreten.

Angesichts dieser drei Eigenschaften des Kapitalismus kann man recht einfach einsehen, was es alles in einem “echten” Kapitalismus nicht gäbe:

(a) Im Kapitalismus gäbe es keinen Staat (wie wir ihn heute kennen): also einen territorialen Zwangsmonopolisten mit der Letztentscheidungsmacht über alle Konflikte in seinem Gebiet. Vielmehr würden Güter wie Recht und Sicherheit im freien Markt organisiert.

(b) Im Kapitalismus gäbe es kein staatlich monopolisiertes Geld, sondern einen freien Markt für Geld.

(c) Es gäbe keine Zwangsabgaben in Form von Steuern, keine staatlichen Regularien, die das Eigentum einschränken.

(d) Im Kapitalismus gäbe es kein öffentliches Eigentum, alle Ressourcen - Landflächen, Straßen, Flüsse, Seen und Meere - wären in Privatbesitz.


Der Nutzen des freien Marktes

Bevor ich auf das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem eingehe, dass wir heute nahezu überall auf der Welt vorfinden, möchte ich zunächst die nutzenstiftende Wirkung des freien Marktes, der konstitutiv für den Kapitalismus ist, kurz illustrieren.

Gestern hatte ich Appetit auf einen Apfel. Der Obsthändler bot mir einen für 1 Euro an. Ich kaufte den Apfel zu diesem Preis. Frage: Was war der Apfel mir wert?

Antwort: Der Apfel war mir mehr wert als 1 Euro. Ich habe 1 Euro freiwillig hingegeben, der mir weniger wert war als der Apfel (der mir mehr wert war als 1 Euro). Beim Obsthändler war es genau umgekehrt: Ihm war der 1 Euro mehr wert als der Apfel. Deshalb hat er den Apfel freiwillig hingegeben im Tausch für 1 Euro.

Sie sehen: Freiwilliges Tauschen - und genau das findet im freien Markt statt - ist für alle Beteiligten nutzenstiftend. Das ist das Wunder des freien Marktes! Der freie Markt, der Kapitalismus, kann aber noch mehr. Er sorgt auch dafür, dass die Güter produziert werden, die die Nachfrager zu kaufen wünschen. Unternehmer im freien Markt bemühen sich, die gewünschten Produkte und Dienstleistungen in bester Qualität und zu niedrigsten Preisen anzubieten - zum Wohl der Konsumenten.

Die Massenproduktion, die für den Verbrauch der breiten Bevölkerung bestimmt ist, ist ein Ergebnis der freien Märkte; und dass die Güterversorgung, der Lebensstandard für alle im Zeitablauf steigt. Das Geheimnis des freien Marktes ist das Gewinn-und-Verlust-Prinzip. Wenn die Unternehmen Güter produzieren, die von den Kunden gekauft werden, erzielen sie Gewinne. Sie sind die Belohnung für gute Leistung, die von den Nachfragern honoriert wird.

Unternehmen, die Güter produzieren, die nicht nachgefragt werden, erleiden Verluste. Sie müssen besser werden, und wenn ihnen das nicht gelingt, scheiden sie aus dem Markt aus. Die besseren Unternehmen gewinnen dann Marktanteile hinzu, und davon profitieren die Kunden. In einem freien Marktsystem wird derjenige belohnt, der seinen Mitmenschen dient. Reichtum lässt sich hier nur schaffen, wenn die Verbraucher zufrieden sind mit der angebotenen Leistung. Der Kunde ist im wahrsten Sinne des Wortes König.

Ein Unternehmer muss sich jeden Tag aufs Neue beweisen. Lässt er nach in seiner Leistung, wandern die Kunden zu besseren Anbietern ab. Eine einmal errungene Erfolgsposition ist daher in einem freien Markt nicht in Stein gemeißelt. Der freie Markt befördert die Arbeitsteilung. Er sorgt dafür, dass jeder der Tätigkeit nachgeht, die er oder sie am relativ besten erfüllen kann.

Die Arbeitsteilung erhöht die Ergiebigkeit des Wirtschaftens: So lässt sich mehr und besser produzieren. Alle stellen sich besser im Vergleich zu einer Situation, in der alle das, was sie benötigen, selbst erzeugen. Wenn Menschen sich arbeitsteilig organisieren, erkennen sie sich gegenseitig als nützlich an in der Bewältigung ihrer Lebensherausforderungen. Wer sich arbeitsteilig organisiert, der kämpft nicht gegeneinander, führt keinen Krieg. Der freie Markt wirkt friedenstiftend, national wie international.

Was aber ist mit Marktmacht, Kartellen und Monopolen? Und was ist mit Umweltschutz? Versagen da die freien Märkte nicht? Das sind wichtige Fragen. Ich will sie hier jedoch nicht besprechen. An dieser Stelle sage ich nur: Die freien Märkte halten auch für diese drängenden Fragen passende Lösungen bereit!



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