Die Weltwirtschaft versinkt in einem Meer von Schulden
18.01.2021 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Eine konjunkturelle Verbesserung der Weltwirtschaft sollte nicht die Sicht verstellen auf ein "Damoklesschwert" das über den längerfristigen Entwicklungsperspektiven der Volkswirtschaften hängt: Es ist nicht gesichert, ob das Fundament, das den Wohlstand des Westens in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat, erhalten bleibt, ob es nicht der Renaissance kollektivistischersozialistischer Ideologien zum Opfer fällt; ob das Wenige, was noch von der freien Marktwirtschaft übrig geblieben ist, nicht auch noch unter die Räder kommt. (Siehe dazu auch den nachstehenden Kasten.)"The Big Picture". Ein Interpretationsversuch
Ein Trend beschleunigt sich, der seit Jahrzehnten in der westlichen Welt zu beobachten ist: Der Staat wird mächtiger auf Kosten bürgerlicher und unternehmerischer Freiheiten. Dieser Trend hat im Zeitalter der Digitalisierung einen zusätzlichen Schub erhalten, und er wird verstärkt durch die politische Instrumentalisierung der Themen "Klimawandel" und "Corona-Virus".
Es ist sicherlich nicht zu weit hergeholt, wenn man sagt, dass weltweit eine Art "Neo-Sozialismus" auf dem Vormarsch ist. Ihm zufolge sollen die Menschen ihre Geschicke nicht autonom im System der freien Märkte regeln, sondern Wirtschaft und Gesellschaft sind nach politischen Vorgaben zu lenken. Etwa indem der Staat Produktion und Konsum durch Ge- und Verbote, Gesetze, Regulierungen und Steuern nach politischen Vorgaben gezielt beeinflusst. Die Initiativen für eine "Große Transformation", einen "Großen Neustart", eine "Neue Weltordnung" lassen sich als prominente Beispiele für das neo-sozialistische Denken interpretieren.
Wer glaubt, mit dem Zusammenbruch des Ostblocks Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre wären die kollektivistischen-sozialistischen Ideen untergangen, der irrt. Das Scheitern des Sozialismus/Kommunismus hat seine Befürworter nicht eines besseren belehrt, sondern hat sie nur zu einer Änderung ihrer Strategie gebracht. Nicht mehr "Verstaatlichung der Produktionsmittel" ist das Ziel, sondern die Errichtung einer Art Befehls- und Lenkungswirtschaft. In ihr bleibt das Eigentum an den Produktionsmitteln zwar formal in privater Hand. Der Staat nimmt jedoch zusehends Einfluss auf die Verwendungsmöglichkeiten des Eigentums.
Ein Blick auf die Verhältnisse in den großen Volkswirtschaften der Welt lässt erkennen, dass mittlerweile kollektivistischesozialistische Modelle dominieren. China wird von einer Mao-marxistischen Partei geführt, die keine Absichten erkennen lässt, sich dem demokratischen Modell des Westens anzunähern; und die versucht, ihr autoritäres Regime wirtschaftlich und politisch auszubauen (Stichworte: "Neue Seidenstraße", "Sozialkreditsystem").
Die Staaten im Euroraum gleiten - spätestens durch die nicht mehr enden wollende "Euro-Rettungspolitik" - immer stärker in eine Wirtschafts- und Gesellschaftsform ab, in dem die Staaten die Marktkräfte einhegen und zurückdrängen. Auch in den Vereinigten Staaten von Amerika hat die politische Linke in den letzten Jahren einen dramatischen Aufstieg errungen. Nach den jüngsten Senats-, Kongress- und Präsidentschaftswahlen hat sie Zugang zu weitreichender Macht, die die USA tiefgreifend verändern können und vermutlich auch werden - und zwar in Richtung eines Neo-Sozialismus.
In Japan ist der Staat - spätestens seit dem Platzen des "Booms" Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre - ein überragender Player in der Volkswirtschaft. Viele Länder Lateinamerikas - Brasilien, Argentinien, Ecuador, Bolivien und Venezuela - sind (mit nur wenigen Ausnahmen) seit Jahrzehnten Opfer sozialistischer Ideologien, die den materiellen Wohlstand der Volkswirtschaften schädigen.
Quelle: Refinitiv; Berechnungen Degussa.
Abb. 3 zeigt die Entwicklung der Geldmenge und der Konsumgüterpreise in der OECD von Anfang 1980 bis Ende 2019. Wie zu erkennen ist, bestand zwischen beiden Serien ein positiver und recht enger Zusammenhang. So gesehen lässt die bereits erfolgte massive Ausweitung der Geldmenge im Zuge der Lockdown-Krise einen (künftigen) Güterpreisauftrieb erwarten - der sich in steigenden Konsum- und/oder Vermögenspreisen zeigt. Der Kaufkraftverlust von US-Dollar, Euro und Co wird demnach an Fahrt gewinnen. Warum aber ist bislang noch kein stärkerer Güterpreisauftrieb zu beobachten?
In der Lockdown-Krise ist die gesamte Nachfrage eingebrochen, die Arbeitslosigkeit ist drastisch angestiegen, und Unternehmen haben Investitionen aufgeschoben. In diesem Umfeld ist die Sparquote gestiegen, das neu geschaffene Geld wird zu großen Teilen auf den Konten gehalten, nicht verausgabt (im Fachjargon sagt man: Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes nimmt ab). Es zeigt sich daher noch keine Beschleunigung der Konsumgüterinflation. Das aber ist kein Grund zur Entwarnung. Zum einen sorgt der "Geldmengenüberhang" bereits für Vermögenspreisinflation.
Zum anderen wird die verbesserte Konjunkturlage früher oder später die Menschen zu einer Verringerung ihrer Kassenhaltung veranlassen. Das ist der Zeitpunkt, an dem der "Geldmengenüberhang" nachfragewirksam und damit auch preiswirksam auf der Konsumgüter- und/oder Produktionsgüterebene wird. Weiterhin ist zu beachten: Nicht alle Menschen kommen in den Genuss der "großen Geldmengenausweitung". Am Ende werden vielmehr einige wenige viel neues Geld auf ihren Konten haben, und viele werden wenig haben oder leer ausgehen.
Die große Geldmengenausweitung, für die die Zentralbanken sorgen, ist nicht für alle gleichermaßen vorteilhaft. Im Grunde wirbelt sie die Einkommensverhältnisse der Gesellschaften durcheinander, schafft dabei Gewinner und Verlierer. Das ist ein großes gesellschaftliches Problem, denn es ist damit zu rechnen, dass die Zentralbanken die Geldmengen weiter kräftig ausweiten werden, insbesondere um die öffentlichen Haushaltsdefizite zu finanzieren. Der Aufwärtsdruck auf die Konsum- und/oder Vermögenspreise ist dabei ein politisch durchaus erwünschter Nebeneffekt.