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Das Inflationsbiest

08.10.2021  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Genau das ist aktuell weltweit der Fall. So hat die Europäische Zentralbank die Geldmenge M3 seit Anfang 2020 um fast 16 Prozent ausgeweitet, um die Folgen des politisch diktierten Lockdowns zu bewältigen. In den USA hat die USZentralbank (Fed) die Geldmenge sogar um 34 Prozent erhöht. Nicht viel anders sieht es in vielen anderen Ländern rund um den Globus aus. Die immer noch nicht ganz reparierten Beschädigungen der internationalen Lieferketten und die daraus resultierende Angebotsverknappung in einigen Gütermärkten sind so gesehen der Nährboden, auf dem sich der "Geldmengenüberhang" in steigender Güterpreisinflation entladen kann.

Für die Öffentlichkeit ist es jedoch nicht immer einfach, den Bezug zwischen steigenden Güterpreisen und Geldmengenvermehrung zu erkennen. Beispielsweise wirkt die Geldmengenausweitung häufig erst mit einer langen Zeitverzögerung auf die Güterpreise. Oder die statistischen Preisindizes fangen die Folgen der Geldmengenausweitung nicht oder nur unzureichend ein. So hat es in den letzten Jahrzehnten eine fulminante Vermögenspreisinflation (in den Aktien- und Häusermärkten) gegeben, die aber in den offiziellen Zahlen nicht oder nicht vollumfänglich sichtbar wurde.

Im Grunde kann man sich die Wirkung, die die Ausweitung der Geldmenge in der Volkswirtschaft hat, wie einen Wasserrohrbruch im Haus vorstellen. Zunächst bekommt man gar nicht mit, dass das Rohr gebrochen ist. Dann jedoch, nach einer gewissen Zeit, beginnt es in der einen Zimmerecke feucht zu werden, nachfolgend zeigt sich die Nässe großflächig, weitet sich auf andere Zimmer aus, und schließlich ist das ganze Gebäude durchtränkt. Ganz ähnlich sorgt eine Geldmengenausweitung über die Zeit für höhere Güterpreise auf breiter Front.


Einmalige Zielverfehlung, dauerhafter Schaden

Heutzutage versprechen Zentralbanken der Öffentlichkeit, die Inflation der Güterpreise bei 2 Prozent pro Jahr zu halten. Das wird zwar als "Preisstabilität" verkauft, ist jedoch natürlich inflationär. Es läuft darauf hinaus, die Kaufkraft des Geldes pro Jahr um 2 Prozent herabzusetzen.

Aber es ist noch etwas anderes, das problematisch ist an dem Versprechen, die Inflation niedrig anstatt die Güterpreise stabil zu halten. Denn einmalige Zielverfehlungen führen in der Praxis zu dauerhaften Einbußen der Kaufkraft des Geldes. Dazu ein kleines Beispiel. Nehmen wir an, die Preisinflation beträgt 2 Prozent pro Jahr. Unter dieser Bedingung steigt das Preisniveau über die Zeit an (Abb. a). Die Inflation bleibt annahmegemäß konstant (Abb. b).


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Quelle: Graphik Degussa.


Nun treibt die Zentralbank im Jahr drei die Inflation einmalig auf, sagen wir, 6 Prozent pro Jahr, und danach senkt sie sie wieder auf 2 Prozent pro Jahr. Während die Inflation nur einen einmaligen Ausreißer nach oben zeigt (Abb. d), kommt es zu einem dauerhaften Anstieg der Güterpreise (Abb. c), also einem dauerhaften Rückgang der Kaufkraft des Geldes - weil die Zentralbank keine Anstalten unternimmt, die Zielüberschreitung nachfolgend durch niedrigere Inflation ungeschehen zu machen. So wird in der Praxis aus einer einmaligen Zielverfehlung "nach oben" eine dauerhaft Kaufkraftminderung des Geldes.

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Quelle: Graphik Degussa.


Das Spiel mit der "gezähmten" Inflation

Inflation ist im Grunde so etwas wie eine heimliche Steuer auf das Geld. Und das lässt ahnen: Irgendjemand profitiert von der Inflation. Es gibt in der Tat eine ganze Reihe von Akteuren, für die Inflation - verstanden als die Ausweitung der Geldmenge (Ursache) und der damit einhergehende Anstieg der Güterpreise - attraktiv ist.

An erster Stelle ist der Staat zu nennen. Beispielsweise steigen in einem inflationären Umfeld die nominalen Einkommen an. Bei einer progressiven Einkommenssteuer (die kurzfristig meist nicht geändert wird) fallen so immer mehr Einkommensverdiener unter einen höheren Grenzsteuersatz - und das bedeutet, dass die realen Steuereinnahmen des Staats ansteigen, ohne dass er eine für alle ersichtliche Steuererhöhung vornehmen muss.

Banken und Finanzdienstleister gefällt inflationäres Geld in der Regel ebenfalls gut. Wenn ungedecktes Geld ausgegeben wird, steigt die Geldmenge in der Volkswirtschaft üblicherweise stärker an im Vergleich zu einem Warengeldsystem, und auch die Güterpreise gegen entsprechend in die Höhe. Das wiederum schafft Geschäfts- und Gewinnmöglichkeiten: Es lässt sich viel verdienen im Kredit- und Einlagengeschäft, im Handel für alle Arten von Wertpapieren, in der Verwaltung von Vermögen, das in ungedecktem Geld denominiert ist.

Selbst Unternehmen und Arbeitnehmer haben häufig eine Schwäche für Güterpreisinflation. In Phasen der Güterpreisinflation scheinen den Unternehmen nahezu alle Investitionen zu gelingen. Und Arbeitnehmer sehen sich einem verbreiterten Arbeitsplatzangebot und hohen Lohnzuwächsen gegenüber. Die Güterpreisinflation, für die die Geldmengenausweitung sorgt, bewirkt nämlich (zumindest anfänglich) einen künstlichen Aufschwung, und zwar durch die "Reichtumsillusion", für die die Geldmengenausweitung sorgt. Doch die damit verbundene Preisinflation kann nur ein vorübergehender Ansporn für die Wirtschaftsaktivität sein.


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