Das Inflationsbiest
08.10.2021 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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[2] Hoher Geldmengenüberhang: Seit dem Frühjahr 2020 haben die Zentralbanken die Geldmengen drastisch ausgeweitet. So hat die US-Zentralbank die Geldmenge seither um etwa 34 Prozent ausgedehnt, um die Folgen des politisch diktierten Lockdowns zu übertünchen. Die EZB hat die Geldmenge M3 seit Anfang 2020 um fast 16 Prozent ausgeweitet. In anderen Volkswirtschaften der Welt sieht es ähnlich aus. Dadurch ist ein gewaltiger Geldmengenüberhang entstanden, der sich im Folgenden aller Wahrscheinlichkeit in steigenden Güterpreisen zeigen wird - in steigenden Konsumgüter- und/oder Vermögenspreisen. Der aktuelle Energiepreisschock könnte sich daher auch besonders rasch und leicht in einer allumfassenden starken Preisinflation niederschlagen.
[3] Zunehmender Anti-Kapitalismus: Es steht außer Frage, dass das, was von der freien Marktwirtschaft noch übrig ist, zusehends verdrängt wird durch staatliche Eingriffe in Form von Ge- und Verboten, Gesetzen, Besteuerung etc. Dahinter verbirgt sich ein zunehmender Anti-Kapitalismus, der der Politik freie Hand gibt, aus (den Resten) der ungehemmten Marktwirtschaft eine gehemmte Marktwirtschaft zu machen.
Eine gehemmte Marktwirtschaft hat natürlich nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer ungehemmten Marktwirtschaft - zumal eine gehemmte Marktwirtschaft immer gehemmter wird, bis sie im Grunde gar keine Marktwirtschaft mehr ist, sondern nur noch eine Befehls- und Lenkungswirtschaft. Knappheit, Mangel, Lieferverzögerungen und Verteuerung des täglichen Lebens sind die unweigerlichen Folgen.
Vor dem Hintergrund dieser drei Faktoren liegt der Schluss nahe, dass die aktuell erhöhte Preisinflation keine vorübergehende Erscheinung sein dürfte, sondern das die Preisinflation künftig deutlich höher ausfallen wird als in den letzten Dekaden - zumindest was die Konsumgüterpreisinflation anbelangt.
Wenn sich diese Einschätzung als richtig erweist, dann wird sich die Lebenshaltung der meisten Menschen mitunter ganz erheblich verteuern, ihr Lebensstandard wird sich dadurch spürbar verschlechtern. Werden die Menschen sich das gefallen lassen? Werden sich die Europäer dauerhaft einer derartigen wohlstandsmindernden Klimapolitik unterwerfen? Europa ist für nicht mehr als 10 Prozent des weltweiten CO2-Austoßes verantwortlich, während allein China 28 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verursacht. Und werden die Menschen es erlauben, dass die Zentralbanken ihre Inflationspolitik ungehindert fortführen?
Inflation und die Geldanlage
Die Zentralbanken stellen sich dem "Inflationsbiest" bislang nicht in den Weg - sie haben es vielmehr gezüchtet, und leider füttern sie es weiter mit ihrer chronischen Niedrig- und Negativzinspolitik und der heftigen Ausweitung der Geldmengen.
Umsichtige Anleger sind daher gut beraten, die Inflationsproblematik ernst zu nehmen. Bei den "Opfern" der Inflation steht natürlich das Geld an erster Stelle: In einem Umfeld der Null- und Negativzinsen sowie steigender Preisinflation wird das Halten von Geld zum Verlustgeschäft. Was sind die Alternativen? Gibt es Anlageklassen, die vor (Kaufkraft-)Verlust schützen? Eine einfache und verlässliche Lösung, die für alle und jeden passt, gibt es jedoch leider nicht. Nachstehend jedoch einige grundsätzliche Gedanken dazu.
Eine Möglichkeit ist das Investieren in Aktien. Allerdings ist hier zu beachten: Eine Zunahme der Preisinflation schadet so manchem Unternehmen. Nicht wenige von ihnen werden sich nämlich einer schwindenden Nachfrage nach ihren Produkten gegenübersehen, da die Teuerung die Menschen zwingt, ihre Ausgaben zu verringern, und nicht jedem Unternehmen wird es gelingen, die erhöhten Produktionskosten auf die Absatzpreise zu überwälzen.
Ein Lösungsansatz ist daher, das Aktienportfolio breit zu diversifizieren (nach Sektoren und geographischen Märkten), um auf diese Weise teilzuhaben an den Produktivitätsgewinnen der Volkswirtschaften und sich zugleich (zumindest teilweise) gegen Unternehmenspleiten und auch Geldwertschwund zu schützen.
Immobilien sind ebenfalls eine Möglichkeit, das Kapital vor dem Geldwertschwund zu bewahren. Aber auch hier gibt es Fallstricke: Immobilien müssen bewirtschaftet werden, sie kosten, so dass bei steigenden Preisen der Eigentümer zusehen muss, dass die Aufwendungen nicht die Erträge aufzehren. Ein ähnliches Vorgehen wie bei der Aktienanlage bietet sich hier an: Der Anleger kann sich beispielsweise ein Welt-Immobilienmarkt-Portfolio zusammenstellen, im einfachsten Fall etwa durch den Erwerb von Real-Estate-ETFs.
Das Halten von Gold und Silber (in physischer Form) ist ebenfalls eine Möglichkeit, dass Kapital vor dem Kaufkraftschwund des Geldes zu bewahren. Auch hier gibt es allerdings einiges zu beachten. Ein Aspekt sei kurz hervorgehoben. Die Finanzmärkte sind mittlerweile stark von den Zentralbanken beeinflusst. Vor allem betäuben die Geldbehörden mit ihrer Geldmengenvermehrung das Risikoempfinden der Marktakteure. Das hat unter anderem dazu geführt, dass Gold und Silber - vor allem seit August 2020 - in der Gunst der Anleger gefallen sind, und damit sind auch die Preise dieser Edelmetalle zurückgegangen; es hat so gesehen zu "kontraintuitiven Preisbewegungen" bei Gold und Silber geführt.
Denn obwohl die Probleme in der internationalen Geld- und Kreditarchitektur seit dem Frühjahr 2020 gewaltig zugenommen haben - wie beispielsweise im Anschwellen der weltweit ausstehenden Schuldenlasten zum Ausdruck kommt -, haben Gold und Silber nicht mit steigenden Preisen reagiert. Die Gold- und Silberpreise sind auch nicht angezogen, obwohl die Preise für viele andere Rohstoffe merklich in die Höhe geklettert sind. Wenn aus diesem Preisverhalten eine Lehre zu ziehen ist, dann vermutlich die Folgende: Es ist durchaus möglich, dass unter den herrschenden Bedingungen die Preise für Gold und Silber nicht mehr wie bisher stetig, im Einklang mit allen anderen Preisen, in die Höhe steigen.
Vielmehr können sie sich auch eine gewisse Zeit lang von der allgemeinen Preisentwicklung abkoppeln; und die aufgelaufene "Underperformance" wird dann irgendwann plötzlich und schnell (aufgrund eines negativen Ereignisses) wettgemacht beziehungsweise verwandelt sich in eine "Outperformance".
Anders gesprochen: Derzeit scheint die Bewertung des Goldes (und auch des Silbers) aus Sicht der Marktakteure auf die Versicherungsfunktion konzentriert zu sein. Diese "reduzierte" Bewertung ist jedoch langfristig betrachtet nicht angemessen, vor allem nicht angesichts der zunehmenden Probleme in der internationalen Geld- und Kreditarchitektur.
Insbesondere aufgrund der nach wie vor relativ niedrigen Preise für Gold und Silber ist es daher ratsam, diese Edelmetalle im Portfolio zu halten beziehungsweise aufzunehmen. Und mit Blick auf die lange Geldgeschichte wäre es alles andere als verwunderlich, wenn Gold und Silber auch künftig ihre Kaufkraft bewahren, sie mitunter sogar steigern - auch und gerade in Zeiten, in denen das "Inflationsbiest" sein hässliches Haupt hebt.
© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH
¹ Man müsste dann annehmen, dass die Geldnachfrage dauerhaft stärker zurückgeht relativ zum Geldangebot.