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Das Inflationsbiest

08.10.2021  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
- Seite 3 -
Denn die Güterpreisinflation entfaltet dann Schubkraft für die Wirtschaft, wenn sie unerwartet daherkommt, wenn sie die Marktakteure überrascht. Dann fallen die Absatzpreise, die der Unternehmer erzielt, höher aus als erwartet. Er denkt: "Hurra, ich bin mit meinem Produkt erfolgreich! Ich baue meine Kapazitäten weiter aus!" Aber nicht nur er kommt in den Genuss höherer Absatzpreise, auch alle anderen Unternehmer erfahren das gleiche Glück, und auch sie weiten ihre Produktion aus.

Doch nachdem das neue Geld seine Wirkung entfaltet hat, flaut die Nachfrage wieder ab. Die Unternehmer erkennen, dass ihr Erfolg nur durch einen einmaligen Anstieg aller Güterpreise verursacht wurde. Die Party endet, wenn es keine neuerliche Überraschungsinflation gibt.


Die Hoheit über die Erwartungen

Die Inflation lässt sich für politische Zwecke einsetzen (um Geld aus den privaten Händen zu nehmen und es an den Staat zu geben), solange die Inflation von den Menschen akzeptiert beziehungsweise nicht als solche erkannt wird. Eine kritische Größe bei einer Inflationspolitik sind die Erwartungen, die die Marktakteure über die künftige Inflation bilden. Dazu ein paar Worte.

In "Normalphasen" bildet sich die Inflationserwartung meist mit dem Blick in den Rückspiegel: Lag die Inflation in der Vergangenheit lange bei, sagen wir 2 Prozent, ist es wahrscheinlich, dass die Marktakteure damit rechnen, dass die Inflation auch in der Zukunft bei 2 Prozent liegen wird. Man spricht hier von einer "statischen Erwartungsbildung".

Wenn die Marktakteure hingegen die Erfahrung gemacht haben, dass die Zentralbank eine Inflation von 2 Prozent versprochen hat, während die tatsächliche Inflation bei 3 Prozent gelegen hat, werden die Marktakteure sehr wahrscheinlich den "Erwartungsfehler" (in diesem Beispiel 1 Prozentpunkt: Tatsächliche Inflation von 3 Prozent minus versprochene Inflation von 2 Prozent) fortan bei ihrer Erwartungsbildung berücksichtigen. Verspricht die Zentralbank zum Beispiel weiterhin eine künftige Inflation von 2 Prozent, werden die Marktakteure mit einer Inflation von 3 Prozent rechnen (d. h. versprochene Inflation plus Erwartungsfehler von 1 Prozent). Man nennt das "adaptive Erwartungsbildung".

Dann gibt es noch die "rationale Erwartungsbildung". Ihr zufolge betreiben die Marktakteure einen besonders großen Aufwand, um sich ein ganz genaues Bild über die künftige Inflation zu verschaffen. Sie wollen den Erwartungsfehler so gut es eben geht vermeiden. Mit solch einer Erwartungsbildung ist dann zu rechnen, wenn die Marktakteure in der Vergangenheit besonders schlechte Erfahrungen mit der Zentralbank gemacht haben, wenn sie von der Zentralbank immer wieder getäuscht wurden und Verluste erlitten haben.

Die jüngst stark gestiegenen Inflationszahlen scheinen nun viele Menschen zu beunruhigen. Sie fürchten, dass es sich vielleicht doch nicht nur um einen "Inflationsausreißer nach oben" handelt, sondern dass die Inflation künftig höher ausfallen könnte, und das nicht nur vorübergehend, sondern für längere Zeit. Das ist auch der Grund, warum sich - wie bereits eingangs erwähnt - Politiker, Zentralbankräte und der ein oder andere Hauptstrom-Ökonomen mächtig ins Zeug legen, um der Öffentlichkeit zu erklären, es gäbe kein Inflationsproblem, der aktuelle Inflationsanstieg sei nur vorübergehend, und er werde sich ganz bestimmt schon bald wieder zurückbilden.

Man will so verhindern, dass die Menschen das Vertrauen in das Versprechen der Zentralbank, sie werde die künftige Inflation niedrig halten, verlieren. Denn schwindet das Vertrauen, klettern die Inflationserwartungen in die Höhe.

Die Menschen legen ihren Miet-, Kredit- und Lohnverträgen dann eine höhere als die von der Zentralbank versprochene Inflation zugrunde. Daraufhin werden die Arbeitnehmer entsprechend höhere Löhne fordern, um entschädigt zu werden für die erhöhte Inflation. Das wiederum verstärkt den Druck auf die Firmen, die erhöhten Lohnkosten auf ihre Absatzpreise zu überwälzen. Auf diese Weise kann eine "Lohn-Preis-Spirale" in Gang kommen, durch die die Inflationserwartungen und nachfolgend auch die tatsächliche Inflation weiter in die Höhe klettern. Und das kann letztlich einen "perfekten Sturm" auslösen.


Der "perfekte" Sturm

An dieser Stelle lassen sich zwei Szenarien bedenken.

Szenario 1:

Die Preisinflation steigt weiter in die Höhe - angetrieben durch anziehende Energiepreise, die durch den Geldmengenüberhang finanziert werden. Die Zentralbanken halten jedoch an ihrer ultra-laxen Geldpolitik fest. Daraufhin steigen die Inflationserwartungen an, und nachfolgend ziehen auch Löhne und Güterpreise an. Eine Lohn-Preis-Spirale kommt in Gang, die die Zentralbank mit ihrer Geldmengenvermehrung weiter alimentiert.

Aus diesem Prozess kann eine Hochinflation erwachsen, die irgendwann, soll die Währung nicht untergehen, ein Gegensteuern der Zentralbank unausweichlich macht - mit dem Ergebnis einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise, einer Rezession-Depression, eines "perfekten Sturms" sozusagen.


Szenario 2:

Die Preisinflation ebbt ab, weil die Faktoren, die den Kostenschub maßgeblich treiben (Energiepreise), sich wieder zurückbilden. Die ganze Sache erweist sich als ein "Inflationsbuckel", dem eine Normalisierung der Preisinflation nachfolgt. Die Zentralbank greift in diesen Prozess nicht ein, sie zieht die Zinsen nicht an und reduziert auch nicht die Zuwachsrate der Geldmenge.

Die gefürchtete Lohn-Preis-Spirale bleibt aus, weil die Inflationserwartungen der Marktakteure sich nicht erhöhen. Das Vertrauen der Marktakteure in die Zentralbank wird nicht gestört, man vertraut weiter darauf, dass die künftige Inflation der in Aussicht gestellten Zielinflation der Zentralbank entsprechen wird. Ein explosiver Prozess (wie in Szenario 1) bleibt aus, der "perfekte Sturm" wird abgewendet.

Die Zentralbankräte - die sehr wahrscheinlich um die Problematik des "perfekten Sturms" wissen - setzen derzeit ganz offensichtlich auf Szenario 2. Deshalb versuchen sie (unterstützt von den Hauptstrom-Ökonomen) der Öffentlichkeit zu erklären, der aktuelle Inflationsanstieg sei nur vorübergehend, und schon bald werde sich die Inflation wieder zurückbilden, es sei keinesfalls mit einer Phase stark steigender Inflation zu rechnen. Die Zentralbanken wollen dadurch die Inflationserwartungen niedrig halten, wollen verhindern, dass die Marktakteure sich auf künftig höhere und weiter steigende Güterpreise einstellen.


Inflation verschlechtert das Leben der Menschen

Doch welches Szenario ist das relevante, das wahrscheinliche, und was bedeutet es für Konsumenten und Anleger? Um diese Frage beantworten zu können, sollten die folgenden drei Aspekte in Betracht gezogen werden:

[1] Energiepreisschock: Die Folgewirkungen des politisch diktierten Lockdowns und vor allem auch der "grünen Politik" (mit seiner bewusst herbeigeführten Verknappung und Verteuerung von fossilen Energieträgern) führen weltweit zu gewaltig steigenden Energiepreisen - wie an den massiven Preissteigerungen für Öl, Gas, Kohle abzulesen ist. Normalerweise würde ein derartiger Preisschock zu einer Verringerung der Güternachfrage führen: Die erhöhten Ausgaben für Energie zwingen die Menschen, entweder weniger Energie nachzufragen und/oder auf den Kauf anderer Güter zu verzichten. (Man spricht man hier von einem "negativen" Realkasseneffekt.) Doch derzeit geht es nicht "normal" zu, und das führt uns zum zweiten Aspekt.


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