Warum und wie der Sozialismus die Welt erobern will
20.11.2021 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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3.Was würde geschehen, wenn unter den genannten Bedingungen ein Land auf seinem Territorium den Sozialismus einführt (also alle Produktionsmittel verstaatlicht), während die übrigen Länder kapitalistisch bleiben (die Produktionsmittel also im Privatbesitzt sind)?
Wir wissen zunächst, dass der Sozialismus nicht funktionieren kann. In seinem berühmten Aufsatz "Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen", veröffentlicht 1920, legte Ludwig von Mises (1883-1971) die Erklärung dafür vor. Im Sozialismus gibt es, so Mises, kein Privateigentum an den Produktionsmitteln (Grund und Boden, Maschinen, Werkzeuge, Rohstoffe etc.). Man kann die Produktionsmittel daher auch nicht am freien Markt handeln. Und folglich gibt es für sie auch keine Marktpreise. Ohne Marktpreise für die Produktionsmittel aber lässt sich keine Wirtschaftsrechnung durchführen. Man kann daher nicht beurteilen, ob eine Investition rentabel und durchführbar ist oder nicht.
Man kann nicht wissen, welche Produkte sich erzeugen lassen, und welche Produktionsmethode sinnvoll ist und welche nicht. Man weiß nicht, ob die verfügbaren Mittel (Energie, Nahrungsmittel etc.) überhaupt ausreichen, um die geplante Produktion durchzuführen. Zudem sind im Sozialismus Willkür, Machtmissbrauch und Gewalt unweigerliche Begleiterscheinungen. Denn die Entscheidungen, was wann wie und wo produziert werden soll, und wer was wann bekommt, müssen von zentraler Stelle - von einem Zentralbüro, einem Diktator - getroffen werden. Mises erkennt, dass der Sozialismus scheitern, dass das Gemeinwesen, das ihn einführt, in Chaos und Verarmung enden muss.
An dieser Stelle ist anzumerken, dass nicht nur die Menschen in einem sozialistischen Land Wohlstandseinbußen erleiden, sondern dass es auch den Menschen in allen anderen (nicht-sozialistischen) Ländern schlechter gehen wird. Denn wenn ein Land sozialistisch wird, fällt seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ab. Bestimmte Güter lassen sich dann entweder nicht mehr, oder wenn doch, nur noch mit einem erhöhten Aufwand erzeugen. Die materielle Wohlfahrt aller verschlechtert sich dadurch.
In dieser Einsicht kommt die kooperations- und friedensfördernde Kraft des freien Marktsystems zum Ausdruck: Menschen stellen sich durch Arbeitsteilung besser, national wie auch international, und das lässt friedvolle Verbindungen zwischen ihnen entstehen.
In einem freien Markt erkennen sich Menschen als gegenseitig hilfreich und nützlich in der Bewältigung ihrer Lebensherausforderungen. Der einzelne Mensch entwickelt (bewusst oder unbewusst) ein Interesse am Wohlergeben seiner Mitmenschen. Der freie Markt ist so gesehen ein Friedensprogramm. Der Sozialismus hingegen verursacht Probleme, er schürt Konflikte - innerhalb eines Landes und auch zwischen Ländern.
4.
Wenn wir den Argumenten von Mises folgen, dann ist also absehbar, dass die Versorgungslage der Menschen im Sozialismus schlechter sein wird als die der Menschen in Ländern, die dem Kapitalismus folgen. Die Menschen im Sozialismus erkennen das früher oder später - und wollen weg, ihrem Leid entfliehen, aus dem sozialistischen Land auswandern und in kapitalistische(re) Länder einwandern, dorthin also, wo ihre Arbeitskraft höher entlohnt wird.
Um die Menschenflucht und damit den raschen Zusammenbruch des Sozialismus zu verhindern, muss der sozialistische Diktator seine Bevölkerung einsperren, einmauern - wie es etwa die DDR und andere Ostblockstaaten praktiziert haben.
Niemand aus den kapitalistischen Ländern (der bei Sinnen ist) wird - selbst wenn es ihm erlaubt ist - zur Erzielung seines Lebenseinkommens in das sozialistische Land wandern - weil man dort ja um die Früchte seiner Arbeit gebracht wird und auch kein Eigentum bilden kann. In der Praxis verfügt das sozialistische Land über weitere Möglichkeiten, seinen Niedergang hinauszuzögern. Beispielsweise kann es sich die relativen Güterpreise in den kapitalistischen Ländern "abgucken" und für die eigenen Planrechnungen einsetzen.
Das sozialistische Land kann auch Handel mit dem kapitalistischen Ausland betreiben. Es verkauft beispielsweise Bodenschätze oder gefertigte Produkte, um mit den Erlösen Güter aus dem Ausland zu erwerben. Auf diese Weise kann das sozialistische Land seine Güterausstattung verbessern im Vergleich zur autarken Produktion, und auch das kann dazu beitragen, dass der Sozialismus länger durchhält, als er ohne Außenhandel durchhalten könnte.
Doch leider: Der Sozialismus kann ein Neben- und Miteinander mit dem Kapitalismus (mit kapitalistische(re)n Ländern) dauerhaft nicht dulden, er muss vielmehr die ganze Welt sozialistisch machen. Und zwar aus zwei Gründen.
5.
Der erste Grund: Das sozialistische Ziel, Gleichheit für die Mitglieder in einer Region der Welt herzustellen, heißt noch nicht, dass damit schon die Gleichheit zwischen den Mitgliedern verschiedener Regionen auf der Welt insgesamt erreicht würde. Bleibt der Sozialist seinem Gleichheitsziel treu, muss er danach streben, Gleichheit rund um die Welt herzustellen. Er muss sich daranmachen, den Sozialismus überall auf der Welt durchzusetzen, den Weltsozialismus zu errichten.
Der zweite Grund: Die Lebensbedingungen der Menschen in einem sozialistischen Land fallen, wie bereits gesagt, viel schlechter aus als für Menschen in kapitalistische(re)n Ländern. Für die Armut und sonstigen Missstände im Sozialismus müssen seine Befürworter, wollen sie das Scheitern des Sozialismus nicht eingestehen, folglich andere verantwortlich machen. Sie behaupten, angeblich feindliche Kräfte im Inneren, aber vor allem im Ausland, in den kapitalistische(re)n Ländern, würden den Sozialismus sabotieren, würden verhindern, dass der Sozialismus seine Heilsversprechen realisieren kann.
Daraus folgt, dass der Sozialismus nur verwirklicht werden kann, wenn die feindlich gesinnten kapitalistische(re)n Länder, letztlich die ganze Welt, sozialistisch (gemacht) wird.
Die Sozialisten kommen also nicht umhin, sich für die Ausbreitung des Sozialismus nicht nur im eigenen Land, sondern auch im ganzen Rest der Welt stark zu machen. Anders als der Internationalismus des Kommunistischen Manifestes ist der Sozialismus nicht defensiv, sondern offensiv gedacht. Für die Sozialisten ist der Angriff auf kapitalistische(re) Länder, auf das Konzept des Kapitalismus, so etwas wie eine Überlebensnotwendigkeit.