Das System Fiatgeld: Schrecken ohne Ende statt Ende mit Schrecken
05.08.2022 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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7.Die bereits stark gestiegene Güterpreisinflation veranlasst die Zentralbanken, der Öffentlichkeit zu signalisieren, man werde die Inflation (die sie ja selbst verursachen) "bekämpfen", die Zinsen anheben.
Es geht ihnen vor allem darum, das Vertrauen in das Fiat-Geld zu bewahren, zu verhindern, dass das wahre Wesen des Fiat-Geldes, erkennbar wird. Das Überleben des Fiat-Geldes hängt davon ab, dass es akzeptiert wird, dass es von den Menschen für Geldzwecke verwendet wird. Und das ist dann der Fall, wenn die Menschen der Auffassung sind, dass man mit dem Fiat-Geld zahlen kann, und dass es - metaphorisch gesprochen - als "Wertaufbewahrungsmittel" taugt.
Sichtbar hohe Inflation gefährdet die Akzeptanz des Fiat-Geldes. Sie führt zunächst dazu, dass die Nachfrage nach Fiat-Geld zu Wertaufbewahrungszwecken abnimmt; und wenn die Inflation zu hoch wird, wird es irgendwann auch nicht mehr als Zahlungsmittel akzeptiert. Besonders gefährlich wird es für das Fiat-Geld dann, wenn die Marktakteure erwarten, dass die Wachstumsraten der Fiat-Geldmenge fortan unablässig steigen werden: von, sagen wir, 4 Prozent pro Jahr auf 6 Prozent im nächsten Jahr, dann auf 10, auf 16 auf 24 Prozent und so weiter. Denn das ist der Weg, der in die Hyperinflation führt.
Regierungen und Sonderinteressengruppen, die in besonderem Maße vom Fiat-Geldsystem profitieren, haben jedoch meist kein Interesse an Hyperinflation - weil Hyperinflation das Fiat-Geld zerstören und damit letztlich ihre Machtposition aufheben könnte. Hochinflation kann hingegen politisch genutzt werden, denn nicht jede Hochinflation muss in Hyperinflation enden. Ein Fiat-Geldsystem kann durchaus lange Zeit in der Hochinflation verharren - mit Inflationsraten zwischen 5, 10 oder 15 Prozent pro Jahr.
Ein Beispiel dafür ist die Türkei. In der Türkei beispielsweise schwankte die Konsumgüterpreis-Inflation von 2008 bis 2020 zwischen 5 und 25%, lag mithin bei durchschnittlich 10% pro Jahr. Mittlerweile ist sie bei 74% angelangt. Eine ähnliche Inflationsentwicklung würde mich im Euroraum in den kommenden Jahren nicht überraschen. Will die Zentralbank mit ihrer Inflationspolitik davonkommen, muss es ihr gelingen, die Menschen über etwas hinwegzutäuschen: Die Menschen müssen glauben, die hohe Inflation sei nur vorübergehend; sie werde "bekämpft"; oder dass die Inflation ein Schicksal sei, von Faktoren beeinflusst werde, die nicht in der Verantwortung der Zentralbank liegen.
Der Staat und seine Zentralbank sowie einflussreiche Fiat-Geldsystem-Profiteure setzen daher alle Hebel in Bewegung, um die Alternativlosigkeit des Fiat-Geldsystems aufzuzeigen und, bei Bedarf, die Inflation als vorübergehend klein- und ungefährlich zu reden. Und solange die Menschen das glauben und die Inflation einen kritischen Schwellenwert nicht übersteigt, wird das Fiat-Geldsystem fortbestehen - und das kann länger sein, als viele es für möglich halten.
8.
Murray N. Rothbard merkte an, dass man nicht meinen sollte, das System Fiat-Geld sei notwendigerweise selbstzerstörend, schaffe sich selbst aus der Welt. Weit gefehlt, so Rothbard! Er schreibt: “I am not saying that fiat money … cannot … continue indefinitely … Unfortunately … if fiat money could not continue indefinitely, I would not have to come here to plead for its abolition.” Rothbard teilt uns mit, dass das Fiat-Geld seiner Meinung nach keine begrenzte Lebenszeit hat. Könnte es nicht ewig fortbestehen, bräuchte er, Rothbard, nicht für die Abschaffung des Fiat-Geldes zu plädieren.
Das ist eine wichtige Einschätzung, die auch die Befunde der Währungsgeschichte widerspiegelt. Hoch- oder gar Hyperinflation bedeutet zwar die massive Herabsetzung der Kaufkraft des Geldes, aber nicht immer auch ihre vollständige Zerstörung.
Hyperinflationen gab es zuhauf: Argentinien (Mai 1989 bis März 1990), Brasilien (Dezember 1989 bis März 1990), Ukraine (Januar 1992 bis November 1994), Zimbabwe (März 2007 bis November 2008). Nur in extremen Fällen ging das Geld sprichwörtlich kaputt, verlor vollständig seine Kaufkraft und wurde durch neues Fiat-Geld ersetzt (wie in der Weimarer Republik 1923 oder in Zimbabwe 2008). Nicht selten versah das durch Hyperinflation stark wertgeminderte Geld nachfolgend weiterhin seinen Dienst - nachdem beispielsweise auf den Geldscheinen ein paar Nullen gestrichen wurden (also alle Güterpreise nominal reduziert wurden).
Eine Volkswirtschaft, hat sie sich erst einmal mit dem Fiat-Geld eingelassen, kommt nicht so ohne weiteres wieder von ihm los - wie es Rothbard in seinem zuvor genannten Zitat ausspricht. Das liegt, so mutmaße ich, am mangelnden Wissen über die weitreichenden und zerstörerischen Folgen des Fiat-Geldes, aber eben auch an seiner korrupten Wirkung auf die Moral der Menschen.
9.
Das weltweite Fiat-Geldsystem geht aktuell in eine neue, vermutlich besonders schwere Krise. Die Zentralbanken heben angesichts der hohen Inflation der Konsumgüterpreise die Zinsen an, und folglich stürzt die Produktionsund Beschäftigungsstruktur, die sich in Jahrzehnten sinkender Zinsen aufgebaut hat, in sich zusammen. Aus dem Boom wird ein Bust. Doch - wie bereits angedeutet - hoch verschuldete Volkswirtschaften halten einen Bust, der Fehlinvestitionen und Überkonsum voll und ganz korrigiert, gar nicht mehr aus.
Die zwangsregulierten Arbeitsmärkte, die zwangsverkammerten Unternehmen, Freiberufler und Handwerker, die hochbesteuerten Angestellten ohne nennenswerte Ersparnisse, aber dafür mit Hypotheken bis unter die Dachkante und Autokrediten oben drauf, können sich von einem Bust nicht so erholen, wie dies in einer unerzwungenen Wirtschaftsordnung der Fall wäre. Der Schmerz wird rasch so groß, dass vermutlich das Übel der fortgesetzten Inflationspolitik als vergleichsweise kleiner empfunden wird als Rezession und Massenarbeitslosigkeit.
Und sind weite Teile der Bevölkerung erst einmal ökonomisch abhängig vom Fiat-Geld - und das trifft vor allem für die westlichen Umverteilungs-Demokratien zu -, legt die bereits erwähnte Theorie der kollektiven Korruption nahe, dass der Fiat-Geld-Boom nicht nur in einer Depression enden wird, sondern dass ihr eine Phase der Hochinflation, möglicherweise sogar der Hyperinflation vorausgeht. Das war übrigens auch in den 1920er Jahren in der Weimarer Republik so.
Ende 1922 lag die Arbeitslosenquote bei 2,8%, im Juli 1923 war sie mit 3,5% immer noch vergleichsweise niedrig. Im Sturm der Hyperinflation, als der Geldwert der Mark kollabierte und das Wirtschaften unmöglich wurde, stieg auch die Arbeitslosigkeit stark an. Sie schnellte auf 19,1% im Oktober, erreichte 23,4% im November und 28,2% im Dezember.
Die Deutsche Reichsbank hatte es also durchaus vermocht, mit ihrer Hoch- und dann Hyperinflation die Massenarbeitslosigkeit eine geraume Zeit abzuwenden, aber ihr letztlich zu entkommen durch das gewaltige Vermehren der Geldmenge, gelang ihr dann doch nicht; sie verschlimmerte sogar den Absturz der Volkswirtschaft gewaltig.