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Das Fiatgeldsystem gerät ins Rutschen

14.10.2022  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Die Wirtschaftspolitik schwächt zusehends die Wachstumskräfte derwestlichen Volkswirtschaften. Das wird Zweifel am Bestand des Fiat-Geldsystems nähren. Die dadurch entstehenden Probleme erhöhen den politischen Anreiz, eine immer ungehemmtere Inflationspolitik zu betreiben.


Fiatgeld

Fiat-Geld baut auf Schulden auf. Es wird durch Kreditvergabe der Banken sprichwörtlich "aus dem Nichts" geschaffen: Die Zentralbank und/oder die Geschäftsbanken vergeben Darlehen und erhöhen dadurch die Geldmenge. Sie leiten also nicht etwa, wie häufig zu hören ist, bestehende Geldmittel vom Sparer an die Kreditsuchenden weiter, sondern sie weiten durch ihre Kreditvergabe die Menge des Geldes in der Volkswirtschaft aus.

Solange die Wirtschaft wächst, scheint das "gut zu funktionieren". Die Geschäftsbanken sind willens und in der Lage, immer neue Kredite zu vergeben - das heißt Kreditsuchende mit neuen Krediten zu versorgen beziehungsweise fällig werdende Kredite durch neue Kredite zu ersetzen. Es entstehen Gewinne für Unternehmen, Einkommen für Arbeitnehmer und Steuereinnahmen für den Staat.

Kreditnehmer sind in einer wachsenden Volkswirtschaft prinzipiell in der Lage, ihre Zins- und Tilgungszahlungen auf die ausstehenden Schulden zu leisten. (Was natürlich nicht ausschließt, dass der ein oder andere Kreditnehmer Konkurs anmeldet. Aber das fällt üblicherweise in der Gesamtschau nicht ins Gewicht.) Vor diesem Hintergrund lautet die "Daumenregel": Das Fiat-Geldsystem funktioniert, solange die Volkswirtschaft im Zeitablauf wächst.

Kreditangebot und -nachfrage spielen dafür natürlich eine ganz wichtige Rolle. Wer Geld mit Zins verleiht (auch wenn es aus dem Nichts geschaffenes Geld ist), der wird Sorge dafür tragen, dass sein Schuldner den Kredit auch bedienen kann. Und wer Kredit aufnimmt, der wird zusehen, dass er seinen Schuldendienst leisten kann, sich bemühen, zahlungsungsfähig bleiben, um nicht Haus und Hof zu verlieren.

Die Unsicherheit ist - wie bei allen menschlichen Betätigungen - ein ständiger Begleiter im Kreditmarkt. Vieles, was die Zukunft bringt, ist aus heutiger Sicht unsicher. Kreditnehmer und -geber sind sich dieser Unsicherheit natürlich bewusst, und die Unsicherheit wird im Kreditangebots- und -nachfrageprozess eingehend berücksichtigt.

Kreditanbieter wie Banken (und Versicherungen) stellen eine Prüfung der Kreditwürdigkeit ihrer Kreditnachfrager an. Sie beurteilen deren künftige Gewinn- und Einkommensentwicklung beziehungsweise Vermögenssituation, legen fest, ob, und wenn ja, zu welchem Zins welcher Kreditbetrag bewilligt wird. Kreditnehmer, wenn sie bei Verstand sind, rechnen vorab durch, welchen Kreditbetrag sie schultern können.


Expansion

Wie gesagt, die Expansion der Volkswirtschaft spielt eine ganz wichtige Rolle für das Funktionieren des Fiat-Geldsystems beziehungsweise den reibungslosen Kredit- und Geldvermehrungsprozess. In diesem Zusammenhang ist zwischen Konjunktur und Wachstum zu unterscheiden. Die Konjunktur beschreibt die gerade vorherrschende Wirtschaftsaktivität. Sie zeichnet sich üblicherweise durch Schwankungen um einen Trendverlauf herum aus.

Manchmal hinkt die Produktion hinter der "normalen" Nachfrage hinterher, mal eilt sie ihr voraus; nicht selten gibt es auch hier und da Störungen, die die Wirtschaftsexpansion bremsen; und außergewöhnliche Nachfrageschübe können manchmal auch die die Produktion über das normale Maß hinweg ansteigen lassen. Das Wachstum einer Volkswirtschaft bezeichnet dabei den langfristigen Trend der Wirtschaftsaktivität, also den der Konjunktur zugrundeliegenden Expansionskurs.

Wirtschaften beruht auf Erwartungen mit Blick auf zukünftige Zustände. Das gilt insbesondere für die Kreditvergabe und -nachfrage. Besonders heikel wird es, wenn Erwartungen enttäuscht werden: Kreditgeber überschätzen die Zahlungsfähigkeit der Kreditnehmer; Kreditnehmer sind zu optimistisch, ihre Schulden aus den erwarteten Einkommen und Vermögen bedienen zu können. In diesem Zusammenhang sind folgende Fragen höchst bedeutsam:

(1) Was passiert, wenn die Volkswirtschaft weniger stark wächst als ursprünglich erwartet?

(2) Was passiert, wenn sie unerwartet schrumpft? Die Fragen (1) und (2) werden nachstehend beantwortet, wobei unterschieden wird, ob die "Erwartungsenttäuschung" vorübergehend ("Konjunkturdelle") oder ob sie dauerhaft ist ("Schrumpfkurs").


Schrumpfen

Ad (1): Wenn die Volkswirtschaft nur vorübergehend weniger stark wächst (wenn sie anstatt der üblichen 2 Prozent pro Jahr in einem Jahr nur um 1 Prozent zulegt), dann werden zwar einige Kreditnehmer in Probleme geraten, werden zahlungsunfähig, aber der Großteil der Kreditnehmer wird die Konjunkturdelle überstehen.

Wenn die "Konjunkturdelle" sich hingegen als dauerhaft erweist, dann spricht man üblicherweise von einer "Wachstumsverlangsamung" - das heißt, das Trendwachstum der Volkswirtschaft gibt nach. Konkret gesprochen: Die Wirtschaft wächst fortan nicht mehr im Durchschnitt um, sagen wir, 2 Prozent pro Jahr, sondern nur noch um, sagen wir, 0,5 Prozent pro Jahr. Bei einer solchen Wachstumsabschwächung wird die Zahl der Kreditausfälle tendenziell ansteigen im Vergleich zu einer vorübergehenden Konjunkturdelle.

Ad (2): Wenn die Wirtschaft unerwartet schrumpft - wenn also die Wirtschaftsleistung nicht wie ursprünglich erwartet um, sagen wir, 2 Prozent pro Jahr zulegt, sondern um, sagen wir, 1 Prozent pro Jahr abnimmt, dann dramatisiert sich die Situation. In dem Fall, in dem die Schrumpfung nur vorübergehend ist, werden die Kreditausfälle stärker ausfallen als im Fall einer abgeschwächten Konjunkturlage. Aber es besteht hier noch die Hoffnung, dass die Wirtschaftsaktivität sich wieder erholt, dass Kreditnehmer, die unter Wasser sind, sich wieder berappeln. Wenn allerdings die Wirtschaft dauerhaft auf Schrumpfkurs geht, ist der Zusammenbruch des Fiatgeldsystems sehr wahrscheinlich.

Warum sollte das so sein?


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