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Die Zukunft des Goldes

10.09.2004  |  Walter Hirt
- Seite 4 -
Die haarsträubende Goldleihe der Notenbanken

Auf den ersten Blick scheint die Goldleihe durchaus vernünftig; die Notenbanken sitzen auf einem Wert, der keinen Ertrag abwirft, was ihnen vielfach vorgeworfen wird, weil der wahre Wert dieser Position zu oft nicht erkannt wird. Mit dem Ausleihen von Gold gegen einen Zins an Finanzinstitute wird die 'tote Materie' zu einem verzinsten Wert, auch wenn dieser meistens relativ gering ist. Dieses schöne Bild hat freilich einen langen dunklen Schatten: Das aus der Leihe übernommene Gold wird von den Finanzinstituten zu Marktpreisen verkauft und der Erlös zu möglichst hohen Zinsen angelegt, die weit über dem Zinsobligo der Leihe liegen; ein attraktives Differenzgeschäft, das vordergründig glücklich macht. Ob die Banken mit dem beim Goldverkauf mühelos gewonnenen Geld nur ins einfache Zinsgeschäft steigen oder auch ‘heißere‘ Spekulationen wagen, ist zu vermuten, kann aber nicht schlüssig bewiesen werden.

Im Schatten dieser Geschäfte lahmen ein paar Pferdefüsse, die tonnenschwere Klumpfüsse sind: Das Gold ist weg - gleichgültig ob ein physischer Transfer stattgefunden hat oder 'nur' eine 'papierene Weitergabe' - und die Verpflichtung auf Rückgabe an die Notenbank bleibt bestehen. Solange die Rückgabe wiederum 'papieren' abgewickelt werden kann, stimmt die Buchhaltung scheinbar, aber trotzdem ist das Gold weg! Sollte 'jemand' den Wunsch haben, das Gold wirklich zu sehen, muss es auf dem Markt besorgt werden. Steigt dieser Anteil, ist die Katastrophe da: Das Gold reicht nicht aus, es sei denn, ein viel höherer Preis erhöhe das Angebot aus gehorteten Beständen.

Wer über Gold und das angeschlagene Finanz-System sinniert, muss irgendwann auf die Wahrheitssuche des Frank Veneroso aufmerksam geworden sein. Veneroso hat sich intensiv mit der Problematik der Goldleihe befasst; er gehört heute zu den meistzitierten Experten für die Strukturen im Goldmarkt. Mein lange gehegter Wunsch, diesem Mann persönlich zu begegnen, ging erfreulicherweise am 21. Juli 2003 in Erfüllung: In einem vierstündigen Gespräch in Zürich habe ich (fast) alles erfahren, was ich zuhanden meiner Leser wissen muss. Leider ist Veneroso ein paar Mal ausgewichen – aus durchaus verständlichen Gründen, denn:

1999 ist sein imposantes Werk "THE 1998 GOLD BOOK ANNUAL" (3) erschienen und hat wie eine Bombe eingeschlagen. Die unglaublich umfangreiche, seriöse, in die Tiefe gehende Sisyphus-Arbeit lässt keine wichtigen Fragen offen - mehr noch, er hat Beziehungsnetze, Zahlen und Abhängigkeiten veröffentlicht, die brisant und für einige gefährlich sind. Er hat entdeckt, weshalb die globalen Goldleihen Ende 1993 so umfangreich waren und er hat das Mysterium des für viele überraschend schwachen Goldmarktes von 1997 geklärt. Er hat zudem die von Gold Fields Mineral Services Ltd. (GFMS) veröffentlichen Zahlen für Angebot und Nachfrage mit jenen des World Gold Council (WGC) verglichen und erhebliche Unstimmigkeiten festgestellt. Den fordernden, motivierenden Anstoß zu dieser 'Tiefenarbeit' erhielt Veneroso durch ein vertrauliches Memorandum der Bank of England, das ‘zufällig‘ in seinen Besitz geraten war.

Fast zur selben Zeit wohnte er der "Australian Gold Conference" im März 1994 bei und hörte sich den Vortrag von Terry Smeeton der Bank of England an, der - krass abweichend vom Memorandum der BoE - viel zu tiefe Zahlen für das von den Zentralbanken ausgeliehene Gold präsentierte und damit Veneroso sehr misstrauisch stimmte. Dann erst begann seine Arbeit so richtig spannend zu werden; er fand lauter falsche Zahlen, leere Behauptungen und schließlich ein kompliziertes Geflecht mit bewussten Irreführungen. In seinem Buch sind diese fein säuberlich aufgearbeitet und transparent dargestellt.

Es ist nicht möglich, im Rahmen dieses Exposés auch nur ein klein wenig auf die phantastische Arbeit Venerosos einzugehen. Nur soviel: Das Dickicht um die Gold-Verschiebungen, was Ausleihungen ja sind, ist kompakt und nur schwer durchdringbar. Frank Veneroso hat es zum Glück für alle Freunde der Wahrheit geschafft, neues Licht in die Dunkelheit um Gold-Buchungen strömen zu lassen. Nur eine kleine Facette sei hier erwähnt, weil sie im Kontext mit der Kritik an der Hochfinanz thematisiert sein muss, um den ziemlich gut verborgenen Zusammenhalt der Clique zu verstehen. Die "London Bullion Market Association" (LBMA) verfügt über insgesamt 14 Mitglieder, in alphabetischer Reihenfolge: AIG, J. Aron, Barclays, Chase (JP Morgan Chase), Credit Suisse, Lehman, Midland Montagu, Moccatta, Morgan Garanty, N. M. Rothschild, Phibro, Republic, Sharps Pixley, UBS. Die wenigsten dieser Finanz- und Handelshäuser meldeten die echten Umsätze; Firmen mit Hauptsitz außerhalb des UK rapportierten, wenn überhaupt, nur die in London anfallenden Zahlen für die Goldleihe. Und dazu kommen noch 23 weitere Händler, von ABN Amro bis Sumitomo und (Bayerische) Vereinsbank.

Die ersten Berechnungen Venerosos ergaben für Anfang 1994 rund 3.000 Tonnen verliehenes Gold, für Ende 1995 bereits 6.000 Tonnen, Ende 1997 waren es schon 8.000 Tonnen. Pikanterweise fand die Bank of England für 1994/1995 nur je 1.000 Tonnen und GFMS sage und schreibe 350 Tonnen!!! Diese Interessengruppe, von der ich früher angenommen habe, sie würde sich um das Gold-Marketing kümmern und an einem möglichst guten Preis interessiert sein, gipfelte am aggressivsten gegen Frank Veneroso und stellte seine Zahlen als Spinnerei in Abrede. Erst viel später, als seine Zahlen bereits bis gegen 15.000 Tonnen gestiegen waren, bequemte sich GFMS gequält zur Nennung von rund 5.000 Tonnen. Daraus kann man unschwer schließen, dass auch GFMS von der Hochfinanz vereinnahmt sein muß. Da GFMS für die Markt-Kommentatoren weltweit als beste Quelle für Zahlen aus dem Goldmarkt und die damit verbundenen Operationen gilt, ist schlagartig klar, weshalb sich falsche Zahlen und 'gemachte Meinungen' weltweit verbreiten.

Falls Sie zum ersten Mal etwas intensiver über diese Goldleihen nachdenken und sich fragen sollten, weshalb ich diesen Zahlen so viel Gewicht beimesse, verrate ich Ihnen gerne die Erklärung von Veneroso, die mich tief beeindruckt hat: "The women around the world are long, the finance industry is short - and unable to cover the positions." (Die Frauen rund um die Welt besitzen - in Form von Schmuck - das Gold, und die Finanz-Industrie hat das von den Notenbanken geliehene Gold längst verkauft und müsste Rückgabeverpflichtungen nachkommen, die sie nie mehr vollumfänglich wird einlösen können.)

Absicherungen mit Futures nützen nichts, weil bei der Endabrechnung diese offenen Kontrakte in den selben Kanälen wild rotieren, in denen die Machenschaften der Hochfinanz inszeniert werden. Die Notenbanken, so Veneroso, wüssten um diese bodenlose Schweinerei, könnten aber wenig dagegen tun, um das Finanz-System nicht selber (vorzeitig) einreissen zu müssen. Das darf erst geschehen, wenn die Hochfinanz bestmöglich vorbereitet und positioniert ist.

Daraufhin habe ich von Veneroso wissen wollen, ob er sich noch ohne Bodyguards bewegen könne. Was er mir nicht sagte, habe ich anderswo erfahren: Zwischen 1999 und 2002 ist er abgetaucht und erst anlässlich des "Fifth International Gold Symposium" in Lima am 17. Mai 2002 wieder in der Öffentlichkeit erschienen. Sie können den denkwürdigen Vortrag mit dem die breite Thematik einkreisenden Titel "Gold Derivatives, Gold Lending, Official Management of the Gold Price and the Current State of the Gold Market" im Internet nachlesen: (www.gata.org/Veneroso1202.html) - die Mühe lohnt sich, weil er die unglaublichen Machenschaften der hochkarätigen Spieler, die reihum festzunehmen wären, auf verständliche Weise entlarvt. Während der etwa zweijährigen "Abwesenheit" Venerosos haben sich im Internet verschiedene Adressen seiner Zahlen bedient; besonders häufig wird er von der GATA des Bill Murphy zitiert (www.gata.org).

Fazit: Die Notenbanken besitzen vermutlich bei weitem keine 32.000 Tonnen Gold, auf die immer wieder mit dem Drohfinger gegen die vielen 'Goldgläubigen' verwiesen wird - was nur eines zu bewirken hat: Die Hochfinanz will den Goldpreis unten halten, damit die Wahrheit möglichst lange verschleiert bleibt, was ja einerseits weitere lukrative Geschäfte und andererseits die Regulierung offener verlustreicher Positionen ermöglicht. Es ist müßig zu fragen, wieviel Gold die Notenbanken noch wirklich besitzen, weil nur sie selber dies wissen können; auf die in ihren Berichten veröffentlichten Zahlen ist kein Verlass. Die Schweizerische Nationalbank weist in ihrem 95. Geschäftsbericht für das Jahr 2002 eine Forderung aus Goldleihe von 254,6 Tonnen aus; davon seien 158,7 Tonnen ungedeckt ‘ausgeliehen‘. Dass die SNB mit penetranter Sturheit jeden Tag Gold der Eidgenossenschaft (der Bürger, notabene) in den internationalen Markt abgibt bis die gesamten 'vereinbarten' 1.300 Tonnen aus schweizerischem Volksbesitz verscherbelt sein werden, ist angesichts der von Veneroso aufgedeckten Tatsachen ein Skandal, zu dem einem die Worte fehlen.

Die Konfusion ist perfekt: Tim Spencer von der GFMS behauptet, die Zentralbanken würden noch immer 32.200 Tonnen Gold besitzen, was zur Deckung der globalen Nachfrage für zehn Jahre ausreichen würde, obschon GFMS früher ein Manko von rund 5.000 Tonnen zugegeben hat. Frank Veneroso und der GATA-Ökonom Reg Howe kommen beide zu einem ähnlichen Schluss, dass nämlich rund 15.000 Tonnen für Ausleihungen und andere Formen der Kreditausweitung wie etwa Swaps eingesetzt worden sind. Die beiden haben ein ähnliches Resultat, aber verschiedene Methoden der Berechnung. Frank Veneroso berechnet die Zahl mit einer Angebot-und-Nachfrage-Perspektive aus verschiedenen historischen Parametern. Reg Howe stützt sich auf die Aktivitäten mit Derivaten aus dem Bericht der BIZ. Der Zahlenwirbel wäre sofort zu beseitigen, wenn die Notenbanken ganz einfach eine einzige Zahl veröffentlichen würden. Da sie das nicht tun, müssen sie wohl einen ziemlich wilden Hund an der Kette halten!

Für die generelle Einschätzung der Marktverhältnisse ist es gar nicht entscheidend, ob unsere Notenbanken 17.000 Tonnen oder 27.000 Tonnen vorweisen können oder sogar noch den alten Bestand hätten. Bei einem Preis von 350 $/Unze haben die 17.000 Tonnen einen Wert von 218 Mrd. U$ (1 Edelunze sind 31,10 Gramm). Diesen Goldklumpen könnten Bill Gates, Warren Buffett und Paul Allen mit ein paar ihrer Freunde bei den Notenbanken ohne großes Wimpernzucken abholen. Und: würde aufgrund offenkundig gefährlicher Entwicklungen mit berechtigter Furcht vor Bonitätsverlusten auch nur 1 Prozent der globalen papierenen 'Werte' in Gold getauscht, würden die noch verbliebenen Bestände der Notenbanken bei weitem nicht ausreichen, diese Nachfrage zu decken. Selbst der theoretische Bestand von 32.000 Tonnen ergäbe eine klägliche Lücke zwischen Angebot und Nachfrage - mindestens zu den heute notierten Kursen (siehe Kapitel "Leistung - Schulden - Werte"). Die Drohung mit den möglichen Notenbank-Goldverkäufen an die Adresse der Gold-Freunde ist also ein ziemlich fader Bluff, der so lange funktioniert, bis die Marktteilnehmer die wahren Verhältnisse endlich erkennen werden. Je intensiver wir über das aktuelle politische und wirtschaftliche Geschehen nachdenken, desto klarer der Blick in die wahre Bedeutung und den echtem Wert des Goldes: Good Old "Real Value" wird jeden Papierberg, jede Zentralbank, jeden Staat überleben!




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