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Die Weltwirtschaft in 2018: Der Ikarus-Aufschwung geht weiter

22.01.2018  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
Der Höhenflug des Ikarus

Dädalus war in der griechischen Mythologie ein brillanter Erfinder, Baumeister und Künstler. Ikarus war sein Sohn. Er und sein Vater wurden von König Minos in das Labyrinth gesperrt, weil Dädalus dem Theseus Hinweise zur Verwendung des Ariadnefadens gegeben hatte (so dass dieser den Weg aus dem Labyrinth fand und dem Minotaurus entkam).

Doch der erfindungsreiche Dädalus wusste, wie er fliehen konnte: Er stellte aus Federn und Wachs Flügel her, mit denen er und sein Sohn davonfolgen. Als sie schon weit über dem Meer in den Lüften waren, missachtete jedoch Ikarus die Warnung seines Vaters, nicht zu tief und zu hoch zu fliegen. Ikarus flog übermütig aufwärts und kam so zu nah an den Sonnenwagen heran. Das Wachs seiner Flügel schmolz, und die Federn lösten sich. Er stürzte ins Meer.

Die Geschichte von Ikarus eignet sich, um bildhaft auf das hinzuweisen, was sich seit geraumer Zeit vor aller Augen abspielt: Die Volkswirtschaften der Welt befinden sich wieder einmal im konjunkturellen Aufwind, der angetrieben wird durch die Ausgabe von ungedecktem Papiergeld, bereitgestellt zu extrem niedrigen Zinsen - eine Rezeptur, die schon viele Male zu mehr oder weniger großen Krisen geführt hat und die fortwährend die Kaufkraft des Geldes zerrinnen lässt.

Nicht einmal die schmerzliche Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 und ihre langen Nachwehen haben zu einem Umdenken beim Umgang mit dem ungedeckten Papiergeld geführt. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall: Die Probleme, die das Geldschaffen aus dem Nichts gebracht hat, wurden durch noch stärkere Geldmengenvermehrung, mehr Schulden und noch niedrige Zinsen "bekämpft".

Die "monetäre Droge", die die Zentralbanken seit Jahren verabreichen, zeigt Wirkung: Weltweit ist ein neuer künstlicher Aufschwung - ein neuerlicher "Boom" - in Gang gekommen, der Produktion und Beschäftigung ansteigen lässt, die Aktienmärkte von einem Rekordhoch zum anderen treibt, und der die Häuser- und Grundstückspreissteigerungen allerorten merklich antreibt. Es gibt gute Gründe, warum der umsichtige Anleger seine Augen nicht vor den Risiken verschließen sollte, die der Boom - angefeuert durch die unablässige Ausgabe von ungedecktem Papiergeld - mit sich bringt. (So wie Ikarus gut beraten gewesen wäre, die Hinweise seines Vaters zu beachten.) Denn solch ein Boom ist tückisch.

So kräftig sich der aktuelle Boom der Weltwirtschaft derzeit auch zeigt, er ist kein Selbstläufer - genau so wenig wie es die vielen Aufschwünge in der Vergangenheit waren, die meist in Krisen endeten. Es handelt sich aktuell vielmehr um einen Ikarus-Aufschwung: Die ihm innewohnenden Ungleichgewichte, der ihn antreibende geldpolitische Machbarkeitswahn werden ihn früher oder später einholen und abstürzen lassen. Aus gegenwärtiger Sicht lässt sich bereits eine Reihe von Faktoren benennen, die ihn zu Fall bringen könnten. Einige von ihnen sollen im Folgenden betrachtet werden mit dem Ziel, dem umsichtigen Anleger eine informierte Grundlage zu geben, um gute Anlageentscheidungen treffen zu können.

Es geht uns darum, weder die Chancen zu übersehen, noch die Risiken aus den Augen zu verlieren, die das neue Jahr für den umsichtigen Anleger bringt. Nach dem bekannten Motto: Hope for the best, prepare for the worst.


Amerikas neuer Kurs

Die politischen und wirtschaftlichen Veränderungen, die der 45. US-Präsident Donald J. Trump auf den Weg bringt, werden zusehends spürbar, in den Vereinigten Staaten von Amerika und anderswo. Der Multilateralismus unter der Führung Washingtons, wie er in den letzten Jahrzehnten zu beobachten war, ist zu Ende gegangen. Kurzgesprochen besagte er: Die Welt ist zusehends vernetzter, interdependenter, so dass die Lösung drängender Probleme - zu nennen sind Finanz- und Wirtschaftskrisen, Terrorismus, Migration, Umweltschutz etc. - nicht mehr national, sondern nur noch durch enge internationale Abstimmung und Kooperation gefunden werden kann. Die Abkehr Amerikas vom Multilateralismus reicht die Verantwortung für die Lösung vieler dieser Probleme an die Einzelstaaten zurück.

Amerika, die nach wie vor größte Volkswirtschaft der Welt, stellt die Belange der heimischen Wirtschaft - nach Jahrzehnten der Deindustrialisierung - in die erste Reihe seiner Wirtschafts- und Außenpolitik. Vor allem die heimische Beschäftigungs- und Lohnlage soll verbessert werden. Das wird vermutlich Nachahmer finden - und damit wird der Idee der Selbstbestimmung neues Leben eingehaucht. Der Anreiz für jede Volkswirtschaft steigt, die eigenen Geschicke wieder verstärkt in die eigenen Hände zu nehmen, sich nicht auf Gedeih und Verderb supranationalen Entscheidungsgremien anzuvertrauen. Einzelne Länder werden es beispielsweise als vorteilhaft ansehen, in den internationalen Steuerwettbewerb - den die Steuerreform von Präsident Trump einleitet - einzusteigen.

Für den Euroraum - das Traum- und Experimentierprojekt der Multilateralisten - ist die Rückbesinnung auf die Idee der Selbstbestimmung besonders delikat. Die "Brexit"-Entscheidung der Briten hat das bereits deutlich werden lassen. Die Bürger vieler Länder empfinden ihre Teilnahme am Euro als "Zwangsjacke", stellen ihre wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit in Frage. Das Wiederaufleben des internationalen Standortwettbewerbs - eine der Folgen der US-Politik - wird den Zusammenhalt der Währungsgemeinschaft zusätzlich auf die Probe stellen. Damit wird letztlich auch die Frage aufgeworfen: Wenn das Vereinheitlichungsprojekt Europa auf der Strecke bleibt, wer braucht und will dann noch den Euro?

Das Amerika unter Präsident Trump verabschiedet sich von der Idee, die Weltordnung maßgeblich mit- und umgestalten zu wollen - eine echte Zäsur zur Politik von Trumps Vorgängern in den letzten Jahrzehnten - allen voran Senior und Junior Bush, dem Ehepaar Clinton und Barack Obama. Der US-Steuerzahler wird fortan nicht mehr wie bisher bereit sein, der Financier für die Weltpolizei und -ordnung zu sein. Das hat Folgen für das internationale Machtgefüge. Insbesondere die wirtschaftliche und auch geo-politische Rolle Chinas wird das derzeitige Gleichgewicht im asiatischen Raum stärker denn je herausfordern, möglicherweise bestehende Konflikte verschärfen und neue schaffen.


Weltkonjunktur läuft


Viele Konjunkturindikatoren deuten auf eine Fortsetzung des derzeitigen weltweiten Aufschwungs hin. Produktion und Beschäftigung nehmen zu. Für das abgelaufene Jahr deutet sich ein weltweites Wachstum des Welt-Bruttoinlandsproduktes von etwa knapp 4 Prozent gegenüber dem Vorjahr an. Die Gründe für den Aufschwung: vor allem extrem niedrige Zinsen (auf die Geldpolitik kommen wir nachfolgend noch zu sprechen), sehr entspannte Kredit- beziehungsweise Finanzmarktkonditionen (die alles andere als "natürlich" sind), anziehende Investitionstätigkeit und erhöhter Welthandel. Vor allem auch die Konjunkturen in den Schwellenländern haben angezogen - dank verbesserter Kapitalzuflüsse aus dem Ausland und verbesserter Rohstoffnachfrage.

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Quelle: Thomson Financial, CPB; eigene Berechnungen. (1) Serien sind indexiert (Januar 2007 = 100)


Die Aktienkurse auf den Weltbörsen sind gewissermaßen im Höhenrausch. Unternehmen haben ihre Investitionstätigkeit erhöht, und auch die Gewinnlage der letzten Jahre ist positiv. Auch in China deuten die Konjunkturindikatoren auf eine weitere Verbesserung der Wirtschaft (Abb. 2). Allerdings zeigt sich hier, dass die starke Wachstumsverlangsamung, die seit Ende 2007 eingesetzt hat, nicht mit einer Verlangsamung des Verschuldungsaufbaus verbunden war: Die Verschuldung Chinas ist relativ zur Produktionsleistung stark angestiegen - und macht die zweigrößte Volkswirtschaft der Welt dadurch natürlich krisenanfällig(er).



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